Montag, 28. März 2016

Western Cape


Nach Indien in Südafrika anzukommen war ein Schock.

Auf dem Papier haben die beiden Länder eigentlich viel gemeinsam. Beides sind sehr große und vielseitige Länder, in der es unglaublich viele offizielle Sprachen gibt (Indien: 24, Südafrika: 11). Beide Länder sind mitunter ehemalige britische Kolonien, dementsprechend wird in beiden Ländern Englisch mit einem sehr lustigen Akzent gesprochen. Die Geschichte beider Länder wird zum einen mit einem sehr grausamen und ungerechten gesellschaftlichen System verbunden (Indien: Kastensystem, Südafrika: Apartheid), zum anderen mit jeweils einer der bedeutendsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts (Mahatma Gandhi/Nelson Mandela). Und a propos Gandhi, in welchem Land hat er neben Indien die meiste Zeit verbracht? Genau, in Südafrika. In beiden Ländern gibt es jeweils eines der wichtigsten finanziellen und wirtschaftlichen Zentren den Dritten Welt (Mumbai/Johannesburg), in beiden Ländern gibt es viele Inder, beide Länder haben eine gute Cricket-Nationalmanschaft, in beiden Ländern gibt es eine große Disparität zwischen Arm und Reich, beide Länder bilden das südliche Ende von irgend etwas. Und in beiden Ländern ticken die Uhren anders als bei uns.

Was das reine Reisegefühl betrifft, ist Südafrika allerdings das genaue Gegenteil von Indien.

In Südafrika:
- sind die Straßen sauber.
- kann man quasi überall mit Kreditkarte bezahlen.
- leben weitaus weniger Menschen pro Quadratmeter als in Indien (selbst im Vergleich zu europäischen Städten wirkt das Zentrum von Kapstadt ab und zu ziemlich leer).
- kann man nicht so gut mit den Öffentlichen rumkommen.
- gibt es keine Tuktuks.
- ist die Luft, die man atmet, um Welten sauberer als die in Indien.
- wird man selten blöd angemacht.
- isst man beinahe nichts anderes als Fleisch (während die Kost in Indien oft vegetarisch ist).
- gibt es Supermärkte.
- hupt man als Autofahrer (wenn überhaupt) nur, wenn man sagen willl: "Pass doch auf, du Penner!" Endlich wieder normale Umgangsformen.

Nach beinahe vier Monaten in Indien komme ich also in Kapstadt an und erfahre hier den bisher größten Kulturschock meiner Reise. Plötzlich ist alles so sauber und ruhig! Und das soll Afrika sein? Bin ich wirklich in den richtigen Flieger gestiegen?

Tatsächlich hat die Partie von Südafrika, die ich bisher gesehen habe (d.h. Kapstadt und die umliegende Region), optisch und vom Feeling her mehr mit den USA gemeinsam: Städte sind nach demselben quadratischen Format gebaut, in Restaurants gilt dasselbe Trinkgeldprinzip, ebenso wie in beiden Ländern ein ähnliches Verhältnis zur Religion zu bestehen scheint. Und dann ist da natürlich auch die multikulturelle Zusammensetzung der Gesellschaft, die mich auch am ehesten an die USA erinnert: Südafrika wird oft auch als "Regenbogennation" bezeichnet, da hier zwischen Schwarzen und Weißen Menschen jeder möglichen Hautfarbe leben. Außerhalb der Städte findet man dieselbe Weite, die ich eigentlich auch nur aus den Südwest-USA kenne.

Kapstadt selbst ist eine Wahnsinnsstadt. Wobei die Stadt selbst eigentlich gar nicht sooooo toll ist. Also, wäre Kapstadt irgendwo anders hingebaut worden, wäre die Stadt nicht was sie ist. Was hier nämlich quasi alles ausmacht, ist die Lage am Fuß des Tafelbergs. Siehe Fotos.

Aber auch ansonsten kann man in Kapstadt viel machen. Zum Beispiel:

- Museen besichtigen. Sehr empfehlenswert das Sklaverei-Museum.

- Robben Island. Auf der Gefängnis-Insel, auf der Nelson Mandela unter dem Apartheids-Regime von 1962 bis 1984 gefangengehalten wurde, wird man von ehemaligen Häftlingen herumgeführt, die sich entschieden haben, nach ihrer Entlassung weiter auf der Insel zu leben. Beeindruckend finde ich, dass - laut unserem Guide - viele ehemalige Wärter ebenfalls auf Robben Island geblieben sind und mit den Ex-Sträflingen ein freundschaftliches Verhältnis führen.

- Wandern. Tafelberg, Lion's Head, Devil's Peak - der nächste Berg ist nie weit entfernt und die Aussicht immer lohnenswert. Siehe Fotos.

- Shoppen. Klingt zwar komisch, wenn es von mir kommt, aber in Kapstadt habe ich endlich die Gelegenheit, einige Dinge zu kaufen, die mir in meinem Gepäck gefehlt haben. Ab jetzt reise ich mit Zelt, Schlafsack, Isomatte und Gitarre.

- Essen. Wenn man die richtigen Leute kennt, wird man vielleicht auf ein Braai eingeladen. Das ist eigentlich nichts anderes als ein Grillen, nur dass es bei den Südafrikanern tatsächlich Teil der kulturellen Identität ist. Und wenn man dieses Glück nicht, gibt es immer noch genügend gute Restaurants in Kapstadt.

- Surfen gehen (auf Afrikaans: Branderplankry). Ausprobiert in Muizenberg, südlich von Kapstadt. War das erste Mal für mich, meine Souveränität auf dem Surfbrett muss sich wohl noch entfalten. Kaum waren aus dem Wasser raus, ging der Hai-Alarm los.

- Cape of Good Hope. Ein sehr schöner Nationalpark auf einer grünen Halbinsel südlich von Kapstadt, die von vielen fälschlicherweise für den südlichsten Punkt des afrikanischen Festlandes gehalten wird. Ist zwar unglaublich touristisch, aber hey, ist schließlich das Kap der Guten Hoffnung.

Einige etwas befremdende Eigenheiten hat Kapstadt allerdings auch. Dazu gehören zum Beispiel die abgezäunten und oftmals mit Stacheldraht versehenen Häuser und Wohnungen, die in einem normalen Wohnviertel oftmals den Eindruck vermitteln, dass man an einer Reihe von Mini-Gefängnissen vorbeispaziert. Tatsache ist halt, dass Südafrika eine der höchsten Kriminalitätsraten der Welt hat, und dass es unverzeihlich naiv wäre, wenn man sein Haus nicht mit allen möglichen Mitteln vor Einbrechern schützen würde. Der Nachbarin meines Hostels beispielsweise wurde vor einigen Tagen in der Nacht das Auto ausgeschlachtet - geklaut wurde alles, was man mitnehmen konnte, unter anderem das Ersatzrad, das Nummernschild und die Autobatterie. Sie selbst war nicht sicher, ob das jetzt das sechzehnte oder siebzehnte Mal war, dass ihr so etwas passierte.

Eine andere Sache ist etwas, was sich nicht so einfach in Worte fassen lässt: Auch 22 Jahre nach der rassistischen Apartheids-Ära scheint hier immer noch eine krasse Zwei-Klassen-Gesellschaft zu bestehen. Auf der einen Seite gibt es richtig schicke Wohnviertel, vornehmlich südlich des Stadtzentrums, wo man eigentlich nur Weiße antrifft. In anderen Gegenden oder Situationen - beispielweise in den berüchtigten Minibussen, dem billigsten öffentlichen Verkehrsmittel des Landes - habe ich nie einen einizigen Weißen gesehen. Das Befremdende an der Sache für mich ist weniger diese Beobachtung selbst, sondern eher die Tatsache, dass es als Außenstehender schwierig ist, beurteilen zu können, mit all dem, was man schon mal über die Geschichte Südafrikas gehört hat, was hiervon eine Überbleibsel der Vergangenheit ist. Anders gesagt: Das, was man sieht, hinterlässt im Zusammenhang damit, was man uber Apartheid usw. weiß, ab und zu einen unangenehmen Nachgeschmack.

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In Kapstadt treffe ich mich mit Michel, einem alten Freund aus der Heimat, der mittlerweile hier in Südafrika wohnt. Dieser hat erfreulicherweise eine Woche Ferien und nützlicherweise ein Auto - da bietet es sich ja an, die weitere Umgebung von Kapstadt auf Rädern zu erkunden. Mit von der Partie ist noch eine Deutsche namens Eva, und so brechen wir also auf zu dritt.

Road Trip Tag 1: Gegen Mittag brechen wir von Kapstadt aus auf und fahren zum Kogelberg Nature Reserve, das nicht allzuweit von Kapstadt entfernt liegt. Nach einer kleinen Wanderung dort machen wir uns einen leeren Strand heimisch, wo wir grillen (der letzte Braai ist immerhin schon 24 Stunden her) und unter einem atemberaubenden Sternenhimmel schlafen.






Tag 2: Wir packen am Strand unsere Sachen zusammen und fahren Richtung Osten. Das hier ist größtenteils ein reiner Fahrtag, sodass es nicht all zu viel zu erklären gibt. Hier und da halten wir in einigen typischen verschlafenen Kleinstädten der Provinz Western Cape, wie zum Beispiel Stellenberg an, die optisch wie eine Kreuzung aus Holland und USA wirken und nicht im Entferntesten irgend eine Ähnlichkeit damit aufweisen, wie man sich Afrika normalerweise vorstellt. Die Townships und Squatter Camps, an denen wir am Vortag beim Verlassen von Kapstadt vorbeigefahren sind, scheinen Lichtjahre entfernt zu sein. Wir übernachten bei einem Arbeitkollegen von Michel.




Tag 3: Wir starten den Tag mit einer kleinen Wanderung entlang einer nicht mehr funktionalen Zuglinie und besichtigen dort eine Höhle, die seit neun Jahren von Obdachlosen bewohnt wird. Sehenswert ist diese aufgrund des etwas eigenwilligen Dekorationsstils ihrer Bewohner, der einem den Eindruck vermittelt, man befinde sich in einem psychidelischen Traum. Über Geschmack lässt sicht streiten, meinen trifft es nicht einmal annähernd, ist aber ganz... interessant.

Danach geht es weiter zu einem weiteren Strandort namens Swellendam, der vor allem wegen einer hübschen Halbinsel sehenswert ist. Wir quartieren uns anschließend bei Swellendam in einem total abgelegenen Hostel in einem Wald ein.








Tag 4: Den heuten Tag verbringen wir in der Nähe von Swellendam, und zwar in Tsitsikama National Parc, wo wir entlang der wilden Küste zu einem schönen Wasserfall wandern. Anschließend fahren wir wieder Richtung Westen und halten für die Nacht in Oudtshoorn, einer Stadt am Rander der Karoo-Wüste, die in Südafrika vor allem wegen ihrer Straußenfarmen berühmt ist.






Tag 5: Da wir alle der Meinung sind, dass Straußen hässliche, fiese Viecher sind, verzichten wir darauf, eine Straußenfarm zu besichtigen. Dafür besichtigen wir in der Nähe von Oudtshoorn die riesigen Kangoo-Höhlen. Empfehlenswert ist hier die so genannte "Adventure Tour", auf der man weitaus tiefer in die Höhle kommt, als auf der normalen Tour. Platzangst sollte man allerdings nicht haben, und schlank und gelenkig zu sein schadet bei den teilweise wirklich extrem engen Gängen auch nicht.

Anschließend geht die Fahrt weiter. Unser nächstes Ziel ist der Swartberg-Pass, der die zwei Teile der Karoo-Wüste (Große Karoo und Kleine Karoo) voneinander trennt. Wir sind mittlerweile nicht mehr an der Küste, sondern mehr im Landesinnern. Das Wetter ist nicht mehr so wechselhaft, sondern ganz schön heiß, und auch die Landschaft hat sich ziemlich verändert. Insgesamt wirkt das Ganze hier schon sehr viel afrikanischer. Als wir schon ein gutes Stück über die Passstraße gefahren sind, ist der Weg plötzlich durch ein großes Straßenschild blockiert: Straße gesperrt. Ein Straßenarbeiter ein paar Meter vor dem Schild klärt uns auf, dass die Straße heute gesperrt sei - wir könnten sie aber morgen befahren. Das ist jetzt allerdings ein Problem - wenn wir da nicht rauffahren können, müssen wir einen ordentlichen Umweg fahren und außerdem auf eine ziemlich schöne Landschaft verzichten. Außerdem finden, anders als man erwarten würde, hinter dem Straßenschild keine eigentlichen Arbeiten statt. Zum Glück ist das hier aber nicht Deutschland:
"Do you mind if we drive on the road?"
"Yes."
"Can we drive on the road?"
"Yes."
"Okay, thank you."

Weiter geht es den Berg rauf; hier und da halten wir mal an, um Fotos zu machen, und wir müssen auch mal eine Zwangspause einlegen, als der Motor überhitzt. Auf dem Pass angekommen steht dann da ein weiteres CLOSED/GESLUIT-Schild. Ein Kerl, der der nicht all zu interessant scheinenden Aufgabe nachgeht, das Schild zu bewachen, reagiert aber mit afrikanischer Gelassenheit auf unser Erscheinen:
"Is the road closed?"
"Yes."
"Can we drive on it?"
"Yes."
... und schiebt netterweise für uns noch das Schild zur Seite.

Auf der anderen Seite des Passes kommen wir irgendwann wieder auf eine geteerte Straße und setzen unseren Roadtrip gemächlich fort. Abends kommen wir dann unter in einem Hostel in einer Kleinstadt namens Barrydale, wo neben uns auch zwei Dutzend Biker nächtigen. Wobei nächtigen nicht das richtige Wort ist, denn eigentlich jagen die die Sau bis in die tiefe Nacht.











Tag 6: Wir kehren zurück nach Kapstadt, durchqueren auf der Fahrt die Weinregion Südafrikas und testen hier und da den einen oder anderen Wein. Road Trip Ende.



Ich verbringe anschließend noch einige Tage in Kapstadt, mache einige Wanderungen/Besichtigungen, habe Spaß an meiner neuen Gitarre, plane die nächsten Stopps auf meiner Afrikareise und genieße den Ort als eine Art Pause zwischen Indien und dem "richtigen" Afrika. Ich muss zugeben, dass ich mich ein wenig damit schwergetan habe, diesen Eintrag zu schreiben, da ich hier auf zwei Wochen zwar viele schöne Dinge gesehen habe, das Erlebnis als solches aber nicht so intensiv war wie quasi jeder Tag in Indien. Was aber nichts Schlechtes ist - vorerst gefällt mir das Normale hier, und ich bin froh, dort zu sein, wo ich gerade bin. Wie eigentlich immer.


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