Donnerstag, 17. Dezember 2015

Rajasthan



Ein Schrei, gefolgt von mehreren Fußtritten, reißt mich aus meinem Schlummer. Ich öffne die Augen. Über mir die Gesichter von etwa 20 indischen Männern, die mich alle anstarren. Mir gegenüber sitzt eine junge Mutter, die versucht, ihren zweijährigen Sohn dazu zu bringen, mal ruhig zu sein und sich ihr auf den Schoß zu setzen. Diesem scheint diese Idee aber gar nicht zu gefallen; er schlägt viel Krach und tritt gegen alle möglichen Dinge - Dinge wie zum Beispiel meine Beine. Warum starren die mich alle an, frage ich mich, immer noch im Halbschlaf. Warum machen die Inder das dauernd?

Ich sitze im Zug von Agra nach Jaipur, der Hauptstadt Rajasthans. Hierbei handelt es sich um den flächenmäßig größten, und einigen Meinungen zufolge den schönsten, Staat Indiens. Rajasthan wird oft als Wüstenstaat bezeichnet; die Kühe sind zwar auch hier die geheimen Herren des Landes, aber Kamele stehen direkt an zweiter Stelle. Ich reise wieder einmal nicht alleine, sondern in Begleitung einer etwas hippieesken Italienerin, die aus Sicherheitsgründen den frühmorgendlichen Zug von Agra nach Jaipur nicht alleine nehmen wollte, und von der ich vor allem eines lerne: Dass ich, ganz anders als ich von mir gedacht habe, eine absolute Null im Feilschen bin und mit den allgegenwärtigen Touts immer noch viel zu nett bin. Was für mich bedeutet, dass ich beim Preiseverhandeln mit den Rikschafahrern mich einfach zurücklehnen und machen lassen kann und zudem während der nächsten Tag extrem preisgünstig durchs Land kommen werde.

Mein schönstes Foto aus Jaipur. Naja.
Von Jaipur bekommen wir nicht all zu viel zu sehen. Es ist halt eine Großstadt, in der es bestimmt viel Sehenswertes, aber eben auch viel Krach und Chaos, gibt. Was mir allerdings auffällt, ist, dass Jaipur im Vergleich zu anderen Städten (Varanasi, Allahabad oder auch Kathmandu) etwas entwickelter zu sein scheint. Es gibt sogar Bürgersteige, und die Sache mit dem Müll ist hier auch nicht so stark ausgeprägt.

Da Jaipur uns nicht so sehr zusagt, reisen wir tagsdrauf weiter nach Pushkar. Als wir aus dem Bus steigen, werden wir direkt mal von mehreren Indern umzingelt, die beteuern, sie seien keine Schlepper, allerdings könnten sie uns ein sehr gutes Gasthaus anbieten, ich solle mir doch mal die Fotos auf seinem Handy anschauen, der Preis sei auch sehr gut, in welchem Gasthaus wir vorhätten zu übernachten, nein, das sei ganz schlecht, ganz schlecht, seins sei viel besser, warum ich einfach weggehen wolle, das sei doch so unhöflich, nein, wir sollten auf keinen Fall in diese Richtung gehen, ganz gefährlich Ecke dort... Wir gehen in die Richtung, in der wir unser Gasthaus vermuten, und einer der Schlepper kommt uns doch tatsächlich mit dem Motorrad hinterher; warum wir denn nicht auf ihn hören wollten, wir hätten doch keine Ahnung, so ganz alleine in Indien, sein Gasthaus sei wirklich ganz gut, wir sollten ihm doch wirklich eine Chance lassen und bla bla bla...

Ganz abgesehen von diesem Empfang ist Pushkar eigentlich ein ganz angenehmes Städtchen. Pushkar ist ein weiterer heiliger Ort, den gläubige Hindus einmal in ihrem Leben besuchen sollten; ich frage mich wie viele solche Orte es in Indien eigentlich noch gibt. Gleichzeitig ist es auch ein recht touristischer Ort, dessen Hauptattration zum einen in einem Markt entlang des heiligen Sees der Stadt besteht, auf dem man Tee, Gewürze, Räucherstäbchen, Hippie-Klamotten, indische Handwerkskunst, Schmuck, Kunstwerke unterschiedlicher Qualität, Musikinstrumente und was weiß ich sonst noch alles kaufen kann. Zum anderen kann man hier auch einfach sehr gut abschalten.

Wir kommen - ohne Beihilfe irgendwelcher Touts - in einem Gasthaus unter, das von einer sympathischen indischen Familie geführt wird (sympathisch bis auf die Tatsache, dass die versuchen, mich mit einer ihrer Cousinen zu verkuppeln, nein danke, aber ich fühle mich geschmeichelt...), und statt der 2 Tage, die ich vorhatte, hier zu verbringen, bleibe ich ganze fünf. Einige irgendwie typisch indische Reisemomente, die ich hier habe: Die allgegenwärtigen, sehr lauten und sehr bunten Hochzeitsprozessionen, die es ab und zu erschweren, in der Stadt von A nach B zu kommen (versucht man, sich an den Festzügen vorbeizuquetschen, kann es sein, dass man dazu gedrängt wird, mitzutanzen).
Der Kerl, der mir anbietet, mich für 20 Rupien auf seinem Holzkarren (einem bloßen Brett mit vier Rädern) überall hinzuschieben, wo ich mag. Live mitzuerleben, wie mitten auf der Straße ein Kalb zur Welt kommt. Von einer Gruppe Kinder auf der Straße einfach so darum gebeten werden, mit meiner Kamera ein Gruppenfoto von ihnen zu machen. Am hellichten Tag von einer heiligen Kuh angegriffen werden (ich gehe nichts Böses denkend durch die Straße, als die Kuh mir von der Seite ein Horn in die Hüfte rammt; ich laufe weg, die Kuh mir hinterher, keine Ahnung, was die von mir wollte). Augenzeuge sein, als zwei Affen gegeneinander kämpfen und sich gegenseitig verfolgen, und dabei mehrere Läden und Verkaufsstände verwüsten. Solche Augenblicke sind mir irgendwie mehr wert, als x-tausend Sehenswürdigkeiten in kürzester Zeit anzuschauen.

Mit Pushkar scheine ich einen neuen Lieblingsort in Indien entdeckt zu haben; aber da in zwei Wochen mein Flieger nach Normalistan geht und ich doch noch einiges vom Land sehen will, muss es irgendwann weiter gehen. Ich nehme den Zug von Pushkar nach Jodhpur. Wieder auf mich alleine gestellt, kommt es bei meiner Ankunft dort zum üblichen Prozedere: Rikscha-Fahrer kommt am Ausgang des Bahnhofs auf mich zu, ich frage, ob er mich da und da hinfahren kann; er: kein Problem; ich frage nach dem Preis; er: 100 Rupien; ich lache mich kaputt; er: okay, 60 Rupien; ich: nichts da, 40 Rupien; er: 50 Rupien; ich: nö, 40; er: dann geh' doch zu Fuß; ich gehe los; er mir mit der Rikscha hinterher: okay, ich fahr dich für 40 Rupien. Tadaa!

Jodhpur wird auch als "blaue Stadt" bezeichnet, aufgrund der Farbe der Häuserfassaden in der Altstadt. Die blaue Farbe soll die Häuser kühlen und vor Moskitos schützen - Ähnliches lässt sich auch in einigen Städten in Marokko beobachten. Ich verbringe einen Tag in Jodhpur, besichtige die ziemlich beeindruckende Festung über der Stadt, in der sich die Maharjas, die damaligen Herrscher Rajasthans, im 19. Jahrhundert verschantzt hatten; und ich bekomme von einer sehr netten Inderin beigebracht, wie man einen typisch indischen Massala-Tee zubereitet.

Tagsdrauf geht es weiter nach Udaipur. Im Bus bekomme ich einen Luxus-Platz in der Fahrerkabine neben dem andauernd fröhlich vor sich hin rülpsenden Fahrer - was bedeutet: Wieder mal sieben Stunden Busfahrt direkt neben der Hupe, was für ein Spaß. Abgesehen von diesem fraglichen Vergnügen ist die Fahrt aber eigentlich richtig gut: Es geht durch eine sehr schöne grüne, gebirgige Landschaft, die ganz anders aussieht, als man ich mir den "Wüstenstaat" vorgestellt habe. Hier und da sehe ich auch, wie am Straßenrand eine tote Kuh von Tieren verspeist wird, die ich auf die Schnelle nicht identifizieren kann. Auch geht die Fahrt sehr viel schneller voran als in Uttar/Madhya Pradesh, da es hier in Rajasthan Autobahnen gibt, die sogar richtig gut unterhalten sind, ich würde sogar sagen: europäisches Niveau. Einziges Risiko: Geisterfahrer scheinen hier an der Tagesordnung zu sein.

Udaipur ist auch wieder eine sehr schöne Stadt, die mitunter als indisches Venedig vermarktet wird und in der Octopussy, einer der schlechtesten James-Bond-Filme, gedreht wurde; dieser wird hier auch in zahlreichen Restaurants gezeigt - mir tun die armen Kellner leid. Mein erster Eindruck von Udaipur, direkt nach meiner Ankunft: Hui, da läuft ja ein Elefant durch den Verkehr! Mein zweiter Eindruck, nachdem ich in meinem Gasthaus eingecheckt habe: Olalah, die Aussicht auf den See und den Palast am Ufer, spärlich beleuchtet durch das ausgehende Licht der hinter dem Horizont verschwindenen Sonne, ist ja richtig romantisch!

Abgesehen von dem wirklich sehr schönen See habe ich aber einige Schwierigkeiten mit Udaipur. Die Einheimischen in der Touristenzone sind sehr freundlich, sie alle sind meine Freunde (zumindest nennen sie mich alle "my friend"), sie alle wissen, dass Belgien ein "very good country" ist, und sie alle haben einen Laden, in dem sie mir, und natürlich nur mir, bereit sind, einen sehr guten Preis machen. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass sich diese Masche bei mir nach einem Monat in Indien irgendwie abgenutzt hat, oder daran, dass die Ladenbesitzer hier tatsächlich aufdringlicher sind als in Agra und Varanasi, aber Udaipur ist die erste Stadt in Indien, wo ich auf dieses Verhalten ziemlich gereizt reagiere. Die Leute sind zwar tatsächlich sehr nett, und es gibt in den Läden oft auch coole Sachen zu sehen, und dass die Händler einem etwas verkaufen wollen, heißt auch nicht zwangsläufig, dass man sich nicht mit ihnen ein paar Minuten nett unterhalten kann; aber es ist gleichzeitig auch ziemlich anstrengend, andauernd dieselben Fragen beantworten zu müssen und in jeden Shop eingeladen zu werden.

Bundi
Weiter geht es nach Bundi, meinem letzten Halt in Rajasthan. Wieder mal eine Busfahrt, bei der der Fahrer in jeder angefahrenen Stadt zuerst mal jede einzelne Straße zu passieren scheint, sodass die Reise wieder einmal zehn statt der angekündigten sechs Stunden dauert. Mein Sitznachbar - ein freundlicher, wenn auch etwas lästiger Musiker/Frisör/Tattoo-Artist - zeigt mir auf seinem Handy ein grauenhaftes Musikvideo nach dem anderem. Obwohl Bundi auch als eines der Highlights Rajasthans gilt, erscheint mir die Stadt sehr viel weniger touristisch als Pushkar, Jodhpur oder Udaipur, was mir sehr gefällt - vor allem Udaipur wirkte auf mich ein wenig künstlich. Einige würden vielleicht sagen, die Stadt wirke heruntergekommen - ich finde sie authentisch. Das bedeutet vor allem auch, dass selbst nahe der Sehenswürdigkeiten Bundis die Leute mir weitaus weniger mit ihrem ewigen "Hello, my friend, want to see my shop? Good price!" auf die Nerven gehen. In Bundi lasse ich meine Reise durch den Norden Indiens ausklingen: Ich belege einen Kochunterricht, bei dem mehrere indische Rezepte erlerne und ich leihe mir einen Roller aus, mit dem ich ein wenig die Dörfer in der Umgebung der Stadt erkunde.

Halbzeit auf der Weltreise. Wobei das Ende ja eigentlich offen ist. Meine weiteren Pläne sehen folgendermaßen aus: Am 19. fahre ich mit dem Nachtzug von Bundi nach Delhi, von wo aus ich am 21. den Flieger nach Brüssel nehme. Weihnachten und Neujahr daheim, bei hoffentlich nicht zu kalten Temperaturen. Und am 7. Januar geht das Abenteuer dann weiter. Fortsetzung folgt.

Pushkar


Pushkar am Morgen...

... und am Abend. Ich mag dich auch, Sonne.

Jodhpur

Jodhpur

Jodhpur

Aussicht auf Jodhpur mit photobombing Hund

Rote Sonne, blaue Stadt

Ooooooooh, wie süüüüüüüüß!

Bundi und ein bisschen indischer Alltagswahnsinn

Bundi

Bundi

Donnerstag, 3. Dezember 2015

Jenseits des Ganges



Aber es gibt auch Schönes in Indien. Eine Sache beispielsweise, die ich mit jedem Tag, den ich in der größten Demokratie der Welt verbringe, immer mehr wertschätze, ist diese: Indien ist ein unglaublich farbenfrohes Land. Es sind Farben überall. Die Häuserfassaden, die traditionelle Kleidung, die Verkaufsstände entlang der Straßen, auf denen es nicht minder bunt zugeht: Von allen Seiten Farben, in einer Menge, die beizeiten kaum zu verarbeiten ist.

Eine andere Sache ist die indische Küche. Chicken Masala, Palak Paneer, Dal, Biryani, Tandoori Roti, Gulab Jamun, dazu Lassi und jede Menge Masala Chai. Hmmmmm, leckerleckerlecker. Oder auch gewisse alltägliche Dinge. Dass man quasi ständig um den Preis verhandeln muss, finde ich nicht wirklich schlimm, sondern ab und zu sogar ganz lustig. (Ich bin in der Hinsicht während der letzten Monate aber auch durch eine harte Schule gegangen und würde in aller Bescheidenheit behaupten, dass ich im Verhandeln mittlerweile ganz gut bin - danke, Iran!) Auch die öffentlichen Transportmittel sind eigentlich richtig gut. Man muss zwar schon enorm blauäugig sein, wenn man erwartet, dass hier ein Zug mal zeitig abfährt, geschweige denn ankommt. Aber abgesehen davon ist es wirklich einfach, und zudem auch noch richtig günstig, von Ort zu Ort zu gelangen.

Oder der Verkehr, ja genau, der indische Verkehr, hat auch was. Natürlich ist er laut und nervenaufreibend und eine exemplarische Fallstudie in "survival of the fittest" - aber er funktioniert! Was ich damit meine ist: Die Situationen, die man hier im Straßenverkehr teilweise mitbekommt, würden sich in Belgien/Deutschland/usw. niemals ohne ein umständliches Polizeiaufgebot auflösen - in Indien läuft das aber einfach. Der Trick liegt darin, dass hier nicht gehupt wird, um Dampf abzulassen (wie das bei uns oft der Fall ist), sondern um zu kommunizieren. Es ist zwar für Fußgänger nicht immer angenehm, durch den Verkehr zu gehen, da hier dauernd kommuniziert wird, aber eine gewisse Effizienz kann ich dem Ganzen nicht absprechen. Ich könnte mir beinahe vorstellen, dass es hier auch blinde Autofahrer gibt, die sich nur anhand der Hupsignale orientieren. Und auch die Inder sind, wenn sie einem gerade nichts verkaufen wollen, schwer in Ordnung.

Woher dieser Sinneswandel? Nun, zum einen denke ich, dass ich mich an einige Dinge einfach gewöhnt habe. Zum anderen habe ich die letzten Tage auch in eher ruhigen Ecken des Landes verbracht (d.h. natürlich ruhig nach indischen Standards). Nach vier Tagen in Varanasi, einem der heiligsten religiösen Orte der Welt, der mich irgendwie ziemlich kaltgelassen hat, und drei krankheitsbedingt eingelegten Tagen in Allahabad, einer Stadt, die man sich getrost sparen kann, egal was im Reiseführer steht, geht es weiter nach Chitrakoot. Hierbei handelt es sich um einen weiteren Ort von großer Bedeutung in der hinduistischen Mythologie und einen wichtigen Pilgerort für gläubige Hindus. Was mich nicht zuletzt an dieser Stadt reizt: Hier leben nur knapp 50.000 Menschen! Eine Kleinstadt in Indien! Nachdem mir die zwei Millionenstädte nicht gefallen haben, frage ich mich: Ist das vielleicht möglich - ein Ort in Indien, wo es so etwas wie Ruhe gibt? Die Antwort: ja und nein. Chitrakoot ist zwar ruhiger als Varanasi (Kunststück!), aufgrund seiner religiösen Bedeutung zieht es aber dieselben Menschenmassen an. Die Stadt, in der ich keinen anderen westlichen Touristen zu Gesicht bekomme, ist am Mandakini-Fluß gelegen, dessen Ufer durch die vielen Tempel geprägt sind, die dem Ort die Bezeichnung "Mini-Varanasi" eingebracht haben. Tatsächlich ist Chitrakoot auch der erste Ort in Indien, der mir gefällt.

Weiter nach Khajuraho. Wieder eine Busfahrt von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang mit zwei Mal umsteigen. Unterwegs habe ich eine Stunde lang eine recht interessante Unterhaltung mit einem indischen Bezirksrichter auf dem Weg zur Arbeit. Als er erfährt, dass ich Belgier bin, kommt er mit einigen doch recht spezifischen Fragen. Die, die ich behalten habe:
1. Aus welchen Ländern importiert Belgien hauptsächlich seine Elektronik-Artikel?
2. Wie viel Prozent der belgischen Agrarwirtschaft sind privatisiert?
3. Wie positioniert sich die belgische Regierung bzgl. des Bürgerkrieges in der Ukraine?
4. Wie stehst du zur Spiritualität?
Mein lieber Schwan, damit habe ich wohl nicht gerechnet! Wusste eigentlich nicht, dass überhaupt jemand sich solche Fragen stellt. Ist allerdings auch recht nett, mit einem Einheimischen eine Unterhaltung zu führen, die nicht hauptsächlich daraus besteht, dass ich mich dafür rechtfertigen muss, nicht verheiratet zu sein.

Während der Fahrt nach Khajuraho überquere ich zum ersten Mal in Indien eine Staatsgrenze und wechsle von Uttar Pradesh nach Madhya Pradesh. Langsam machen sich einige Änderungen bemerkbar. Das Terrain wird ein wenig hügeliger und trockener, die bewohnten Gebiete geben sich nicht mehr einander die Hand, die Dörfer wirken irgendwie bunter, und selbst die Luft sieht ein wenig klarer aus. Dafür wird aber die Straße schlechter. Irgendwann sehe ich ein Straßenschild, demzufolge Khajuraho noch 24 Kilometer von uns entfernt ist. 30 Minuten vergehen, 45 Minuten, 1 Stunde, anderthalb... Als ich schon denke, wir kommen nie an oder sind schon längst dran vorbei, hält der Bus an, alle steigen aus. Während ich noch dabei bin, meinen Rucksack aufzusetzen, kommt ein junger Mann zu rauf zu mir, einige andere stellen sich vor dem Bus und rufen mir Dinge zu wie:
"Auto-Riksha, Sir?"
"Hotel, guesthouse, Sir?"
"Need good restaurant, Sir?"
"Taxi, Sir?"
"Want a guide, Sir?"
Schaut so aus, als wäre ich angekommen! Nichts wie weg hier!

Khajuraho ist ein kleiner Ort in ländlicher Umgebung, der vor allem für seine vielen gut erhaltenen, zum UNESCO-Kulturwelterbe gehörenden Tempel bekannt sind. Die Außenmauern dieser Tempel sind bildhauerisch sehr fein bearbeitet und enthalten eine Unmenge an Statuen, die.., ich sage mal, thematisch ungefähr genau so pikant sind wie das indische Essen. Nachdem ich in meinem Hostel eingecheckt habe, freunde ich mich in einem Restaurant mit einem jungen Inder an, mit dem ich mich für eine Motorrad-Tour am folgenden Tag verabrede. Wir verbringen beinahe den ganzen Tag damit, per Bike die verschiedenen, in der Gegend verteilten Tempel zu besuchen. Später fahren wir noch aufs Land und machen mal Rast an einem Fluss, an dem es Krokodile geben soll, die wir allerding leider/zum Glück (?) nicht zu Gesicht bekommen.

Khajuraho gefällt mir sehr gut. Auf einen Tag hat man zwar alles gesehen, aber aufgrund der ruhigen, entspannten Atmosphäre der Stadt, ebenso wie der Tatsache, dass ich hier mal Inder kennengelernt habe, die nicht irgendwie an meine Kohle ranwollen, bleibe ich drei Tage hier. Am letzten Abend vor meiner Abreise bin ich dann bei jemandem zuhause zum Abendessen eingeladen; alles was wir machen müssen, ist im Vorfeld etwas Hühnchen zu besorgen. Naiver europäischer Städter, der ich bin, gehe ich natürlich anfangs davon aus, dass wir bei einem Metzger mehrere hundert Gram fertig zubereitetes Fleisch kaufen gehen. Aber das ist Indien - wir fahren zu einem Laden, der komplett mit voll belegten Hühnerkäfigen ausgestattet ist, der Besitzer holt zwei Hühner aus dem Käfig, wiegt sie ab, nennt uns einen Preis, die Hühner scheinen zu wissen, was jetzt kommt, und machen einen letzten verzweifelten Versuch wegzuflattern, das Messer liegt auch schon bereit, und zack - wird den beiden der kurze Prozess gemacht. (Als jemand, der ausgesprochen wenig Fleisch isst, muss ich sagen: Dabei sein, wenn das eigene Abendessen geschlachtet wird - finde ich eigentlich nicht schlecht. Da weiß man zumindest, was man isst.)

Weiter nach Orcha. Nachdem mich eine meiner frisch geschlossenen indischen Bekanntschaften mit dem Motorrad zum Bahnhof gebracht hat (mein Zug geht um 8, seine Arbeit startet um 6; aber was sind schon zwei Stunden Verspätung?), nehme ich zum ersten Mal in Indien, und zum zweiten Mal nur auf meiner Weltreise, den Zug. Orcha ist ein weiteres nicht an Überbevölkerung leidendes Städtchen von 10.000 Einwohnern (laut Guidebook ist es sogar nur ein Dorf), in dem es einige schöne Tempel und einen riesigen Palast zu bestaunen gibt. Dass ich nach Varanasi beschlossen habe, auch in etwas kleineren Orten Halt zu machen, erscheint mir immer mehr als eine gute Idee. Es ist hier einfach sehr viel angenehmer. Ganz ohne Gehupe und "Riksha, Sir?" geht es zwar nicht, aber mein Pauschalurteil vom letzten Mal muss ich doch ein wenig abändern: Es ist nicht überall so schlimm wie in der Gospertstraße.

Rote Festung, Agra
Weiter nach Agra. Wieder Uttar Pradesh, wieder eine Großstadt, und sehr vielen Backpackern zufolge die Hölle auf Erden. Ich finde es eigentlich halb so wild. Es stimmt zwar, dass Agra keine Unmengen an Charme zu besitzen scheint, und dass man alle paar Sekunden den Satz "No, thank you" benutzen muss; aber zumindest die Touristen-Area, in der sich mein Hostel befindet, ist eigentlich sehr ruhig, und es gibt sogar einige Parks, hey, das ist doch auch mal was. Aber das Highlight der Stadt ist natürlich das Juwel des Landes, eines der bekanntesten Bauwerke der Welt, eines der sieben modernen Weltwunder, die "Verkörperung alles Reinen" (nach Rudyard Kipling): das Taj Mahal.

Bis zuletzt bin ich davon ausgegangen, dass mich das Taj Mahal enttäuschen würde. Ein Touristenmagnet, der sich als überteuert und überbewertet erweisen würde, wie der Eiffelturm zum Beispiel (nur meine Meinung natürlich). Bis zuletzt habe ich nichts Besonderes erwartet. Aber es ist wirklich schön. Als ich das weiße Mausoleum zum ersten Mal erblicke, brauche ich zuerst mal etwas Zeit, um zu begreifen, dass das da echt ist. Das richtige Taj Mahal. Ein paar Franzosen hinter mir sehen das aber anders: "Bof, c'est nul!" - "Je suis déçue!" Leute.. ehrlich..?

Nochmal ein Beweisfoto, dass ich es bin
Während des Sonnenaufgangs ist noch nicht so viel los im Park um den Taj Mahal, wo ganz anders als außerhalb der Eintrittspforten strengste Sauberkeitsregeln gelten. Ich setze mich auf eine Bank und schaue mir dieses Meisterwerk mehrere Minuten einfach nur mal an. Einen Wermutstropfen gibt es leider doch (und da haben die Franzosen wahrscheinlich schon recht): das Wetter - kein blauer Himmel, kein magischer Sonenaufgang. Tatsächlich deutet nur ein kleiner orangeroter Punkt hinter dem kilometerdicken Smogfilter an, dass auch über Indien die Sone scheint. Trotzdem: Wow!

Sooooo, das waren meine zweite und meine dritte Woche in Indien, und meine erste Woche wurde hier doch um Welten getoppt. Es chaotisch hier, es ist laut, es ist verrückt; aber es macht so viel Spaß, in diesem Land zu sein, das ist kaum zu beschreiben. Und darum mache ich heute an dieser Stelle Schluss. Liebe Grüsse von bei den Bekloppten!

Chitrakoot

Chitrakoot

Chitrakoot

Tempel in Khajuraho

Khajuraho

Da gibt's Krokodile!


Orcha

Orcha

Orcha

Orcha

Aussicht von der Roten Festung

Das Taj Mahal und viel indische Luft