Freitag, 29. April 2016

Zululand, Swasiland und Soweto



Der Sani-Pass im Süden Lesothos bildet die Kulisse für den wahrscheinlich beeindruckendsten Grenzübergang auf meiner Reise. Auf einer Höhe von etwa 2800 Metern befindet sich der lesothische Grenzposten, dahinter geht es etwa 15 Kilometer auf einer sagenhaft schlecht unterhaltenen Straße runter bis zum südafrikanischen Posten. Dass hier mal ein Wagen durchfährt, ist eine echte Seltenheit - der Job der lesothischen Grenzbeamten scheint nicht der Schlechteste zu sein: Bei den 10 Autos, die vielleicht die Grenze passieren, gibt es bestimmt keinen Stress, und zudem hat man noch eine grandiose Aussicht direkt vor der Nase.

Da diese Grenze aber so abgelegen und wenig befahren ist, ist es für mich nicht ganz klar, ob und wie ich hier mit den Öffentlichen weiterreisen kann. Ich beschließe daher, früh morgens aufzubrechen und die Grenzstraße notfalls zu Fuß zu passieren.

Nachdem ich mir an der lesothischen Grenze meinen Austrittsstempel besorgt habe, geht es also los Richtung Südafrika. Je weiter ich komme, um so mehr weicht die kühle Morgenluft Lesothos einer eher schwülen Hitze, und irgendwann laufen auch wieder Affen durch die Gegend. Nach einer Stunde zu Fuß setze ich mich hin. Es dauert nicht lange, bis ein - ausnahmsweise mal nicht proppevoller - Minibus vorbeikommt und mich für den verbleibenden Weg ins südafrikanische Dorf Underberg mitnimmt.

Dort erwische ich dann einen weiteren Minibus nach Pietermaritzburg, der Hauptstadt der Provinz KwaZulu-Natal. Meine Ansprüche sind recht niedrig; alles was ich für heute brauche, ist eine Waschmaschine: Nach 10 Tagen in den Highlands Lesothos kann ich mich selbst nicht mehr riechen. Von Pietermaritzburg gibt es nichts Besonderes zu sagen: typische südafrikanische Stadt mit einem Mix aus holländischer und englischer Architektur, dazwischen viele Einkaufszentren und Fast-Food-Ketten, halt eine Stadt wie es hunderte gibt in diesem Land. Nach einer Nacht breche ich wieder ziemlich früh auf, nicht zuletzt, da es in meinem Hostel die Waschmaschine kaputt ist.

Meine nächste Station ist Durban, die größte Stadt KwaZulu-Natals. Durban gilt als Zentrum der südafrikanischen Surferszene und als multikulturellste Stadt des Landes; neben Schwarzen, Weißen und Coloreds ist hier auch der hohe Anteil an Indern stark bemerkbar. Und obwohl Durban nur drei Fahrstunden vom Sani-Pass entfernt ist, ist das Klima radikal anders - ich bin hier wieder in den Tropen und ganz eindeutig auch zurück im Sommer.

Ich verbringe eigentlich nur zwei Tage in Durban und mache eine geführte Tour mit, die vom Besitzer meines Hostels angeboten wird - was eigentlich nicht mein Ding ist, aber die Tour bringt mich zu einem afrikanischen Medizinmarkt und einigen anderen kuriosen und wenig touristischen Ecken der Stadt, die ich alleine wahrscheinlich nicht zu sehen bekommen hätte.

Von Durban aus geht es weiter in ein Dorf namens St. Lucia. Reiseführer und Internet behaupten zwar eisern, dass man hier nur mit dem eigenen Auto oder über vorgebuchte Touren hin kann, aber mit den Minibussen ist das eigentlich nicht wirklich schwierig. St. Lucia ist eigentlich nichts weiter als eine Anreihung von Hotels und Restaurants, also alles andere als ein authentisches afrikanisches Dorf, liegt aber in der Nähe zu zwei bekannten Nationalparks Südafrikas: auf der einen Seite dem Hluhluwe-National-Park, auf der anderen Seite den St.Lucia-Wetlands - beides Orte, die für ihre reiche Tierwelt bekannt sind.

Am ersten Tag nach meiner Ankunft unternehme ich mit zwei Deutschen eine Safari durch den Hluhluwe-Nationalpark, geführt von einem älteren Afrikaaner. Es ist eigentlich meine erste richtige Safari, aber wir haben richtiges Glück: Wir bekommen 4 von den "Big 5" zu sehen (Nashorn, Büffel, Elefant, Löwe, leider keinen Leoparden), inklusive einem schwarzen Nashorn, was eine richtige Seltenheit ist, und zwe Rudeln Löwen. Und dann natürlich auch Giraffen, Zebras, Kudus, Gnus, Wildschweine und Antilopen, aber das ist beinahe Standard. Zum Abschluss der Tour bezeichnet uns unser Guide als goddamn lucky bastards und empfiehlt uns, nie wieder auf Safari zu gehen - nach dem massiven Glück, das wir an diesem halben Tag hatten, würden wir beim nächsten Mal wahrscheinlich enttäuscht werden.

Tagsdrauf bekomme ich auf einer Bootstour noch einiges von der Tierwelt in den Wetlands zu sehen: Neben Krokodilen und Nilpferden gibt es hier auch eine große Menge an Vogelspezien.

Von St. Lucia geht es weiter nach Swasiland. Die Reise dorthin stellt sich wieder als etwas umständlich heraus: Die ersten paar Kilometer nimmt mich ein anderer Backpacker aus meinem Hostel mit, dann: warten - Bus - lange warten - Bus - Rumstehen am Straßenrand - Autostopp - Grenzübergang - Bus - warten - Bus. Als die afrikanische Sonne die hügelige Landschaft Swasilands in tiefes Rot tunkt, nehme ich mir im erstbesten Hotel ein Zimmer - mein eigentliches Ziel für den Tag habe ich nicht erreichen können.

Tagsdrauf geht es dann frühmorgens weiter. Während ich am Straßenrand auf den Bus warte, treffe ich per Zufall einen Österreicher wieder, den ich eine Woche vorher in St. Lucia kennengelernt hatte und der in Afrika mit dem Fahrrad unterwegs ist. Währed wir uns noch darüber wundern, wie klein die Welt doch ist, kommt ein Minibus und die Reise geht für mich weiter.

Im Vergleich zu Lesotho hat Swasiland, zumindest was die öffentlichen Verkehrsmittel und die Transport-Infrastruktur betrifft, einige klare Vorteile. Im Unterschied zu Lesotho sind in Swasiland nämlich die Straßen recht gut, sodass man innerhalb weniger Stunden in dem kleinen Land überall hinkommen kann. Außerdem - und das läuft hier auch besser als in Südafrika - gibt es hier viele von diesen Minibussen, weshalb man selten lange warten muss. Zudem werden die Busse nicht unbedingt immer auf Biegen und Brechen voll gemacht, und die Musik wird auch nicht so laut aufgedreht, dass man nicht mehr weiß, wo oben und unten ist. Kurzum: Swasiland lässt sich mit den Minibussen sehr viel angenehmer bereisen als Südafrika oder Lesotho.

Ich verbringe einige Tage in Ezulweni, einem kleinen Dorf zwischen Mbabane, der winzigen Hauptstadt des Landes, und Lobamba, dem Residenzort des Königs. Highlight meiner paar Tage in Swasiland ist eine Fahrradtour, die mich von Ezulweni am Königspalast vorbei durch einige Dörfer zum Mlilwane-Reservoir bringt. Als ich da durchfahre, werde ich abwechselnd von Zebras, Kudus und Gnus begleitet, die neben mir langhoppeln. Das war richtig gut!

Nach drei Tagen in Ezulweni geht es weiter nach Johannesburg. Obwohl Johannesburg das finanzielle und wirtschaftliche Zentrum Südafrikas ist, ebenso wie die größte Stadt des Landes, gehört es nicht zu den drei Hauptstädten der Regenbogennation. Nachdem ich nachmittags im ziemlich verregneten Zentrum Jo'burgs ankomme und einen Taxifahrer finde, der willens ist, mich durch den albtraumhaften Stoßzeitenverkehr der Metropole zu kutschieren, kann ich mir eine ganze Reihe (fehlschlagende) Appelle an meine Vernunft anhören: Warum ich denn um alles in der Welt nach Soweto wolle? Weshalb ausgerechnet Soweto? Soweto - ernsthaft? Als wir nach einer ziemlich langen Stadtfahrt im Schneckentempo endlich an meinem Hostel ankommen, startet mein Taxifahrer einen letzten Versuch: Wenn ich nicht hier bleiben wolle, würde er mich auch gerne ins Stadtzentrum zurückbringen.

Die Sache mit Soweto ist folgende: Der Name ist eine Abkürzung für South Western Townships und ist die allgemeine Bezeichnung für eine ganze Reihe an Wohnvierteln im Südwesten Johannesburgs, in dem etwa 3 Millionen Menschen leben. Von diesen 3 Millionen Einwohnern sind genau 5 weiß. Während der Apartheids-Ära war Soweto das Schwarzen-Ghetto der Stadt. Historische Bedeutung erlangte Soweto vor allem durch die Aufstände gegen das Apartheids-Regime 1976, während derer etwa 20.000 Schüler gegen das ungerechte Bildungssystem rebellierten, was Ausschreitungen zur Folge hatte, in deren Verlauf rund 600 Menschen durch die Polizei getötet wurden.

Mittlerweile gilt Soweto, vor allem für schwarze Südafrikaner, als der kulturelle Mittelpunkt des Landes. Zudem ist es der einzige Ort auf der Welt, wo zwei Nobelpreisträger in derselben Straße gelebt haben: Desmond Tutu und Nelson Mandela. Während Soweto anscheiend immer noch ein wenig der schlechte Ruf aus dunkleren Zeiten anhaftet (siehe Taxifahrer), sagen pure Statistiken etwas anderes aus: Demzufolge ist Downtown-Johannesburg weitaus gefährlicher als Soweto.

Von dem exzellentem Hostel aus, in dem ich übernachte, unternehme ich eine ziemlich interessante geführte Fahrradtour durch die Townships. Anschließend, es ist Freedom Day in Südafrika, der Tag, an dem die ersten freien Wahlen nach der Apartheid gefeiert werden, geht im Park gegenüber von meinem Hostel voll die Fete ab: Gute Musik, gutes afrikanisches Essen (geröstete Raupen, mmmmmhhhhh...), nette Leute, guter Abend. Am darauffolgenden Abend findet in der Nähe des Hostels ein sogenanntes Storytelling statt: Leute aus der Nachbarschaft setzen sich ums Lagerfeuer und ein paar etwas Ältere erzählen Geschichten aus der Vergangenheit. Auch sehr sehr gut...

Ich weiß nicht, woran es liegt, aber je mehr ich in Afrika reise, um so besser gefällt es mir hier. Dafür, dass der Kontinent für viele als unbereisbar gilt, vor allem ohne Auto, klappt es eigentlich ganz gut. Aber Südafrika war eigentlich nur der Anfang - es folgte die große Unbekannte auf meiner Karte: Simbabwe...



















Dienstag, 12. April 2016

Lesotho


Mitten in Südafrika befindet sich das kleine gebirgige Land Lesotho, eines von drei verbleibenden afrikanischen Königreichen. Im Unterschied zu Südafrika ist die Bevölkerung hier ziemlich homogen und besteht hauptsächlich aus Sesotho sprechenden Basothos. Auf gewisse Weise ist Lesotho das höchstgelegene Land der Welt, insofern als der niedrigste Punkt des Landes hoeher liegt als der tiefste Punkt irgendeines anderen eigenständigen Staates auf der Welt. Das ganze Land liegt komplett über 1400 Metern. Einige weitere Fakten zu Lesotho: Hier gibt es das größte Wintersportgebiet Afrikas (mit dem klanghaften Namen Afriski), aller Armut zum Trotz ist die Analphabetenquote ist eine der niedrigsten in Afrika und das Staatsgebräu Maluti ist mit Abstand das trinkbarste afrikanische Bier, das ich kenne.

Um nach Lesotho zu gelangen, nehme ich einen Langstreckenbus, der pünktlich um 16 Uhr 30 in Kapstadt startet und pünktlich um 9 Uhr 20 in der südafrikanischen Stadt Ladybrand ankommt, die nur einen Katzensprung von der Grenze entfernt ist. Dass der Bus pünktlich war, ist ein wichtiges Detail. Nachdem ich in Ladybrand gefrühstückt habe, nehme ich dann ein Minibus-Taxi zur Grenze.

Das mit den Minibus-Taxis ist etwas, was erklärt werden muss. Hierbei handelt es sich um kleine Busse mit einer Kapazität von etwa 20 Passagieren, die in ganz Afrika eigentlich das typische öffentliche Transportmittel darstellen. Im Prinzip läuft das dann so: Der Bus steht irgendwo, an einer Tankstelle oder auf einem Parkplatz, davor steht ein Kerl, der einem zuruft, wohin der Bus fährt. Man geht zu ihm, zahlt den Preis für die Fahrt, stellt sicher, dass man das korrekte Rückgeld ausgezahlt bekommt, und wenn der Bus voll ist, wird losgefahren. Wobei "voll" auch Definitionssache ist. In Südafrika gilt die Regel: 1 Fahrplatz - 1 Passagier. In anderen afrikanischen Ländern gilt: 1 Fahrplatz - mindestens 1 Passagier. Unterwegs werden dann immer noch Leute raus gelassen oder mitgenommen, und es ist doch immer wieder erstaunlich, wie viele Menschen tatsächlich in so einen Minibus passen.

An der Grenze zu Lesotho geht dann alles ganz unkompliziert vonstatten. Pass - Stempel - fertig, kein Schmiergeld, keine blöden Fragen. Den verbleibenden Kilometer vom Grenzposten bis zum Zentrum von Lesothos Hauptstadt Maseru lege ich zu Fuß zurück. Es ist ein strahlend blauer Herbsttag.

Aussicht auf Maseru
Von allen Hauptstädten, die ich bisher kenne, ist Maseru so ziemlich die unhauptstädtischste: Alles in allem um eine Hauptstraße gebaut, rechts ein Golfplatz und ein paar Einkaufszentren, links einige Regierungsgebäude und der unscheinbare Königspalast, in der Mitte große Kirche, drumherum einige Wohnviertel und am Ende die handelsüblichen Townships, fertig. Es ist eine Stadt, die man sich getrost sparen kann, aber zwei positive Dinge gibt es doch: 1) Ich kenne keine andere Hauptstadt, in der man so einen schönen Nachthimmel zu sehen bekommt. 2) Die unmittelbare Umgebung macht wirklich Lust auf mehr.

Ich verbringe den Rest des Tages in Maseru, mache Pläne für die nächsten Tage und besorge mir Wanderkarten - diese gibt es nicht im Laden, sondern müssen bei der Regierung angefragt werde. Tagsdrauf nehme ich den Minibus ins Bergdorf Semonkong. Es ist die erste in einer Reihe von recht ungemütlichen Fahrten durchs Land, nicht zuletzt, da mein mittlerweile nicht mehr ganz so leichter Rucksack auf meinen Oberschenkeln verstaut wird. Aber da Lesothos Präsident persönlich in Semonkong gerne Urlaub macht, gibt es zumindest eine schöne, gut unterhaltene asphaltierte Straße, die von Maseru dorthin fürt, das ist ja schon mal etwas.


Semonkong
Mein erster Eindruck von Semonkong: Ich glaube, ich bin auf dem Drehset zu einem Western angelangt. Als ich aus dem Minibus trete, sehe ich vor mir etwa 20 Einheimische in traditioneller Tracht, die gerade ihren Pferde absatteln, und von denen einer sogar einen Revolver trägt. Es ist beinahe so, als ob ich 20 Samuel L. Jacksons aus The Hateful Eight vor mir habe, und wer den Film gesehen hat, kann sich vorstellen, was für ein tolles Gefühl das für mich war.

Wasserfall nahe Semonkong


Semonkong selbst gewinnt keinen Schönheitspreis - das Dorf besteht hauptsächlich aus Wellblechhütten, später werde ich doch einige schönere Dörfer in Lesotho sehen. Die landschaftliche Umgebung allerdings haut mich glatt weg. Von der sehr guten Lodge des Dofes aus lassen sich alle möglichen Aktivitäten organisieren, wie geführte Wanderungen, Reiten, Abseilen, Bergsteigen usw. Es ist der perfekte Ort, um zu vergessen, welcher Wochentag, welcher Monat oder welches Jahrhundert gerade ist.

Ganz perfekt ist mein Aufenthalt in Semonkong jedoch nicht. Am zweiten Tag, der mit einem komplett wolkenlosen Himmel beginnt, zieht am Nachmittag ein Unwetter auf, das in kürzester Zeit mein am selben Morgen noch mit so viel Liebe zum Detail aufgebautes Zelt unter Wasser setzt. Im letzten Moment noch kann ich meine Schlafsachen und einige andere Dinge, die nicht nass werden dürfen, retten. Als der Regen auch in die Nacht hinein nicht aufhört, lassen zwei Südafrikanerinnen mich netterweise in ihrem Zimmer auf dem Boden schlafen.

Nach drei Tagen in Semonkong geht es zuerst mal zurück nach Maseru. Von dort aus breche ich bald wieder auf. Mein ultimatives Ziel ist der Sani-Pass in den Drakensbergen, der den wichtigsten südlichen Grenzübergang zwischen Lesotho und Südafrika darstellt. Um dorthin zu gelangen bieten sich eigentlich zwei Routen an: Die praktischere dauert maximal einen Tag und geht von Maseru zurück nach Ladybrand in Südafrika, von dort per Langstreckenbus nach Pietermaritzburg und von dort per Shuttle-Bus auf den Pass. Die abenteuerlichere geht quer durch die Highlands Lesothos, Dauer unbestimmt, Transportmittel mal schauen. Ich wähle die zweite Variante.

Meine erste Station ist das Dorf Katse, irgendwo mitten im Land. Während der Fahrt habe ich eine ziemlich interessante Unterhaltung mit einer einheimischen Lehrerin. Eine Sache, die ich in Afrika bislang mag, ist, dass das Englisch der Leute gut genug ist, dass man auch mal eine Unterhaltung mit Locals führen kann, die über Where are you from? und das war's hinausgeht. Die Kehrtseite ist allerdings, dass man in solchen Unterhaltungen als Europäer ab und zu unbeabsichtigt vor Augen geführt bekommt, wie verwöhnt man doch eigentlich ist, und das ist nicht unbedingt das beste Gefühl. Als ich ihr sage, dass ich Belgier bin, ist besagte Lehrerin direkt ganz interessiert, wie das Leben bei uns denn aussieht, lenkt das Gespräch - ich glaube wirklich unbewusst - in eine Richtung , wo ich denke: Boah, haben wir es gut. Die erste Frage (Hier in Afrika haben wir diese Musik namens Jazz. Gibt es die auch in Belgien?) finde ich super, da kann ich sogar einiges zu sagen. Danach aber wird es knifflig. Gibt es in Belgien Häuser mit Schieferdächern? Ich mag Schieferdächer, die fliegen bei Wind nicht weg. Und: Ist man in Belgien auch arbeitslos nach der Uni? Und: Gibt es in Belgien auch Obdachlose? Und: Gibt es in Belgien auch Leute, die verhungern? In allen drei Fällen lautet die Antwort wahrscheinlich: ja, aber... Später kommt dann aber noch die härteste Frage, die mir auf der Weltreise gestellt wurde, nicht weil sie schwer zu beantworten ist, sondern weil es einfach verdammt hart ist, gerade diese Frage gerade in diesem Land gestellt zu bekommen: Hier in Afrika haben wir diese Krankheit namens AIDS. Gibt es die auch in Belgien?

Noch ein paar Fakten zu Lesotho: Lesotho hat nach Swasiland und Botswana die dritthöchste HIV-Rate der Welt (23,3% aller Erwachsenen ist HIV-infiziert). Dementsprechend ist die Lebenserwartung in diesem Land extrem niedrig und beträgt gerade mal 52,9 Jahre. Zum Vergleich: In Südafrika beträgt dieser Wert 62,3 Jahre, in Indien 68,1 Jahre und in Belgien 80,9 Jahre.

In einer Stadt namens Hlotse, wo ich den Bus wechseln muss, verabschiedet sich meine Sitznachbarin, nicht ohne sicherzustellen, dass ich auf dem ziemlich lauten und chaotischen Busdepot auch den richtigen Transport finde und für meine Fahrt keine "Weißen-Steuer" bezahlen muss. Nach drei weiteren Stunden Fahrt - die extrem laute Musik im Bus verhindert weitere tiefgreifenden Konversationen, selbst mit Ohrstöpseln werde ich noch von den Bässen gut durchgeschüttelt - erreiche ich nach Einbruch der Nacht endlich Katse.

Staudamm in Katse
In Kastse befindet sich Afrikas höchster Staudamm, der Lesotho und die umliegenden Regionen Südafrikas mit Wasser versorgt. Hier habe ich erneut wenig Glück mit dem Wetter, sodass es von hier nicht so viel zu berichten gibt. Der nächste Stopp auf meinem Weg zum Sani-Pass ist eine Kleinstadt namens Thaba Tseka. Von Katse aus kann ich ziemlich schnell einen Minibus zum nächsten Dorf erwischen, wo ich dann erst mal zwei Stunden auf den nächsten Bus warten kann. Als der dann mal da ist, dauert es auch wieder eine Stunde, bis er voll genug ist, um abzufahren.

Im Unterschied zu Maseru, das allgemein einer mittelgroßen südafrikanischen Stadt gleicht und noch relativ modern ist, ist Thaba Tseka eher eine typisch afrikanische Stadt. Der Hauptstraße entlang stehen viele Verkaufsstände aus Wellblech, dahinter ziemlich einfache Behausungen. Es gibt eigentlich keinen Grund, all zu lange hier zu bleiben, drum geht es tagsdrauf direkt weiter.

Warten auf den Bus...
Ich verlasse mein Hotel um 8 und begebe mich zum örtlichen Busdepot. Dort kann ich auch schnell ausfindig machen, dass der Bus nach Molumong, dem nächsten Dorf mit einem Gasthaus, irgendwann hier eintreffen und ebenfalls irgendwann abfahren wird. Also noch ein bisschen warten. Während ich auf meinem Rucksack sitze und in einem Buch lese - mein Kindle, auf dem ich seit Beginn der Weltreise knapp 40 Bücher gelesen habe, hat einige Tage vorher den Geist aufgegeben - kommt jemand auf mich zu. Ich schaue auf, er deutet auf meine Gitarre und meint: "Only one song, please!" Na gut, ich packe meine Gitarre aus und beginne, sie übertrieben umständlich zu stimmen, was mir die Zeit verschafft, in meinem Gedächtnis nach dem erstbesten Song zu kramen, bei dem ich eingermaßen textsicher bin.
Mad World by Tears for Fears
Während ich noch an dem Song dran bin, bildet sich um mich herum eine Gruppe von etwa 10 Leuten.
"One more song! One more song!"
I want to break free by Queen
"One more song! One more song!
Wonderwall by Oasis
"One more song! One more song!"
Boah Leute, langsam wird's anstrengend.
Über den Wolken by Reinhard Mey
Aber anscheinend mögen die hier in Lesotho Reinhard Mey nicht besonders, darum fragt plötzlich niemand mehr nach einer Zugabe.

Der Bus kommt an um 11 und fährt ab um 1. Und allem Anschein nach macht der Präsident hier nicht gerne Urlaub, den hinter Thaba Tseka wird die Straße wirklich unterirdisch schlecht. Um 4 kommen wir an in einem winzigen Dorf namens Linakaneng - dass ich würde umsteigen müssen, hatte ich schon in Thaba Tseka erfahren. Ich also raus aus dem Bus und setze mich auf meinen Rucksack, bereit für noch ein bisschen mehr Warterei.

Eine Frau mittleren Alters kommt auf mich zu. Worauf ich denn wartete?
Ich: Auf den Bus nach Molumong...
Sie: Nein, heute fährt aber kein Bus mehr aus dem Dorf raus.
Das ist allerdings ein Problem.
Ich: Gibt es denn hier ein Gasthaus im Dorf? (Das ist mein letzter Strohhalm, wobei es ziemlich klar ist, dass es hier - mitten im Nirgendwo - garantiert kein Gasthaus gibt.)
Sie mustert mich misstrauisch. Welcher Kirche ich denn angehörte, will sie wissen.
(Nebenbei bemerkt: Egal, wie man jetzt zur Religion steht - auf die Gretchenfrage sollte man in Afrika niemals mit Atheist, konfessionslos oder keine Ahnung antworten!)
Ich: Katholik.
Sie: Wooooow, ich bin auch Katholikin, na dann gibt's ja kein Problem, unter Katholiken muss man sich ja helfen.
Innerhalb von zehn Minuten hat sie, die selbst auch nur auf der Durchreise ist, eine Familie ausfindig gemacht, die mich zu einen eher symbolischen Preis in einem Raum in ihrem Haus schlafen lässt. Ohne Elektrizität oder fließendem Wasser, aber definitiv besser, als draußen zu erfrieren - die Temperaturen in Lesotho gehen egal zu welcher Jahreszeit gerne mal unter null.

Linakaneng
Linakaneng ist sehr wahrscheinlich der letzte Ort, der in einem Reiseführer auftauchen würde - es ist einfach ein ganz normales Dorf auf dem Land, fernab von Verstädtung und Industrialisierung, ebenso fernab von den abgetrampelten Touristenpfaden. Aber gerade deswegen finde ich es wunderschön. Früher hätte ich einen solchen Tag wahrscheinlich als Reinfall empfunden, aber ich fand ihn genial. Als I-Tüpfelchen gibt es am Abend dann noch einen richtig fetten Sternenhimmel.

Der Bus nach Molumong, so viel habe ich am Abend herausfinden können, sollte gegen 7 Uhr morgens starten. Ich stehe also recht früh auf, um diesen Bus auf keinen Fall zu verpassen. Es ist noch ziemlich kalt draußen, aber der Himmel verspricht einen sonnigen Tag. Der Bus ist auch tatasächlich schon da.

Molumong
Und verlässt Linakaneng kurz vor 12. Zumindest dauert die Fahrt nach Molumong nicht allzu lange, sodass ich hier noch Zeit für eine kleine Wanderung habe. Das Gasthaus, in dem ich übernachte, hat wieder mal keine Elektrizität, was die Abendstunden hier etwas gruselig macht, zumal ich hier der einzige Gast bin. Tagsdrauf unternehme ich dann mit Daniel, dem Besitzer des Gasthauses einen Pony-Trek. Hierbei handelt es sich um eine typische Aktivität in Lesotho: Pferde und Ponys sind das Ein und Alles der Basothos, und so gut wie jedes Gasthaus im Land bietet Pony-Treks über die Dörfer an, da muss ich so etwas ja mal machen.

Am selben Tag noch erwische ich einen Bus in die Kleinstadt Mokhotlong, wo ich Proviant einkaufe. Anschließend geht es dann, endlich wieder über eine geteerte Straße, zum Sani-Pass. GESCHAFFT!

Der perfekte Urlaub würde anders aussehen, aber ganz ehrlich: hat Spaß gemacht! Zwar habe ich sehr viel Zeit damit verbracht, auf den Bus zu warten, aber Lesotho war tatsächlich mal ein Land, wo man wirklich mal sieht, wie es einfach ist, ohne dass dieser Eindruck allzu sehr durch die rosarote Touristenbrille gefiltert würde.

Und eine Lektion habe ich auch draus gezogen: Nie wieder...







... werde ich mich ärgern, wenn bei uns mal der Zug 10 Minuten zu spät ist.

Semonkong

Russisches Roulette für den Magen - ich hab's überlebt!

Landschaft bei Semonkong

Typisches Basotho-Haus

Landschaft bei Semonkong



Landschaft bei Katse

Katse

Katse

Linakaneng


In heroischer Pose zu hohem Rosse!

Sani-Pass


Aussicht von Lesotho auf Südafrika