Montag, 25. Januar 2016

Bollywood und Hippieland


Genau ein halbes Jahr, nachdem ich zum ersten Mal auf Weltreise gestartet bin, geht es wieder los. Ich sage "Tschö wa, Eupen" und lasse die mir immer noch sehr liebe Heimat hinter mich. Ein paar Stunden später saage ich "Namaste, Mumbai!" Es ist Mitternacht und es herrschen 27 Grad Celsius; meine Lunge füllt sich mit schlechter Luft, die mir so stark zum letzten Mal in Varanasi aufgefallen ist, mein SMS-Speicher hat sich im Nu mit Spam-Nachrichten des indischen Netzdienstes gefüllt, und mein Tuktuk-Fahrer versucht auf eine ziemlich linke Tour, mich beim Fahrtpreis zu betuppen. Danke, Indien, ich bin auch froh, dass ich wieder da bin!

Mumbai ist Indiens bevölkerungsreichste Stadt und das wirtschaftliche Zentrum des Landes. Es ist zudem das Zentrum der indischen Filmindustrie. Eigentlich hatte ich vorgehabt, Mumbai so schnell wie möglich hinter mich zu lassen; im Endeffekt bleibe ich dann doch 4 Tage. Es gibt nämlich tatsächlich sehr viel zu sehen hier. Im südlichen Zipfel der von drei Seiten vom Arabischen Meer umsäumten Megastadt wirkt Mumbai sehr anders als alles andere, was ich bisher in Indien gesehen habe. Die Stadt hat einen sehr kosmopolitischen und internationalen Vibe, Englisch scheint selbst unter Indern die Lingua Franca zu sein und amerikanische Restaurantketten sind quasi überall zu finden. Hinzu kommt noch die englische Kolonialarchitektur, die ich in dieser Form bisher auch nicht in Indien vorgefunden habe - wäre da nicht der typisch indische Verkehr, man könnte glatt meinen, man sei in einer europäischen Hauptstadt gelandet.

Dann gibt es da aber auch Stadtteile wie Dharavi, die eine ganz andere Geschichte erzählen. In diesem 1,7 Quadratkilometer großen Slum (dem größten in Asien) leben 1 Million Menschen - das sind 5 Prozent der Gesamtbevölkerung dieser Stadt. Bis zuletzt hatte ich Schwierigkeiten, mich zu entscheiden, ob ich mir Dharavi anschauen sollte. Einerseits haftet dem Konzept Slumtourismus etws zutiefst Abartiges an: "Hallo, reicher Weißer hier, haha! Na, wie geht es uns denn? Boah, sind die hier arm! Boah, ist das hier krass! Boaaaaaaah! Kraaaaaaass! Foto, Foto, Foto! Hurra!" Das ist kein Zoo, das ist keine Freakshow, und das Leben, das diese Menschen führen, sollte nicht als Touristenattraktion vorgeführt werden. Andererseits finde ich: Wir leben in einer Welt, in der so etwas existiert - davor sollte man nicht die Augen verschließen. Und wenn man schon in Mumbai ist, einer Stadt, in der 60% der Gesamtbevölkerung in Slums lebt, sollte man sich vielleicht schon ein realitätsnäheres Bild von der Sache machen als das, welches in Slumdog Millionaire gezeichnet wird.

Nach einigem Hin und Her beschließe ich, mir das doch zu geben und finde eine gemeinnützige Organisation, die in Dharavi Entwicklungsarbeit leistet und Slum-Touren anbietet. Fotos sind nicht erlaubt, 80% des Preises werden in Bildungsprojekte in Dharavi gesteckt - klingt wie 'ne gute Sache, ich bin dabei.

Das Überraschende an Dharavi ist eigentlich, dass man vom allgemeinen Elend, das man hier erwarten würde, verhältnismäßig wenig mitbekommt. Tatsächlich gibt es hier Straßen, die nicht weniger heruntergekommen aussehen als der Rest des Landes und in denen es Dinge gibt wie Banken und Arztpraxen. Auch ist es nicht so, dass es für die dort Lebenden zwangsläufig kein Entkommen gäbe - ein Teil der Einwohnerschaft Dharavis geht außerhalb des Viertels einer Arbeitstätigkeit nach (mitunter auch Bürojobs) und kehrt abends heim ins Slum; andererseits gibt es auch viele Arbeiter von außerhalb, die tagsüber nach Dharavi zur Arbeit ziehen.

Da Dharavi gut an das öffentliche Verkehrsnetz angeschlossen ist, sind die Grundstückpreise in dem Slum mittlerweile ziemlich hoch, was eine etwas widersprüchliche Situation mit sich bringt: Zum einen wird über die Millionen Einwohner, die seit Generationen hier leben, hinweggesehen. Zum anderen versucht der Staat gelegentlich, Dharavi "auszubessern", beispielsweise indem er bewohnbare Betonklötze in das Viertel pflanzt, die dann dem Höchstbietenden verkauft werden. In einem Teil des Slums leben mehrere hundert Töpfer aus dem indischen Staat Gujarat. Wenn demnächst der damals noch mit dem British Empire abgeschlossene hundertjeahrige Pachtvertrag ausläuft, werden die hier lebenden Gujaratis keine Heimat mehr haben.

Ansonsten muss ich noch anmerken, dass ich mich in Dharavi alles andere als unsicher fühle. Die Gassen in den Wohnvierteln sind zwar extrem eng, dunkel und ab und zu auch etwas eklig, aber das war's. Die einzige Reaktion von Einheimischen kommt vonseiten der vielen spielenden Kinder, die sich über fremde Gesichter immer sehr zu freuen scheinen und die mich ständig mit "Hello" und "What's your name?" begrüßen. Also quasi wie überall in Indien.

550 Kilometer südlich von Mumbai befindet sich Goa, der kleinste der 29 Staaten Indiens. Ganz anders als Mumbai und eigentlich auch ganz anders als der Rest des Landes: Goa ist optisch sehr stark durch sein portugiesisches Kolonialerbe geprägt - kombiniert mit den ziemlich schönen tropischen Stränden könnte man manchmal meinen, man sei irgendwo in Brasilien. Angesichts einiger Besonderheiten Goas komme ich nicht daran umhin, zu vermuten, dass der Tourismus hier einige ziemlich negative Folgeerscheinungen mit sich gebracht hat. Zum Beispiel finde ich es sehr seltsam, dass man plötzlich, im Land der heiligen Kühe, in so gut wie jedem Restaurant Rindsteak serviert bekommen kann. Der Verkehr ist überraschenderweise genau so nervig wie sonstwo in Indien, was allerdings eher daran liegt, dass sich quasi jeder Touri hier ein motorisiertes Fahrzeug ausleiht. Auch scheint seitens der Einheimischen eine gewisse Voreingenommenheit gegenüber Touristen zu bestehen (die ich zum Teil ziemlich gut nachvollziehen kann). Außerdem ist hier, mit einer Ausnahme: Bier, alles weitaus teurer als sonstwo in Indien.

Nach meiner Ankunft in Goa steure ich etwas planlos das erstbeste Hostel an, das ich im Internet ausfindig machen konnte. Wie es der Zufall will, befindet sich dieses in Anjuna, dem einen Dorf in Indien, das 24 Stunden Party am Tag anbietet. Folglich wird mein Hostel hauptsächlich von britischen Pals, amerikanischen Dudes und australischen Mates frequentiert, die Indien scheinbar hauptsächlich aufgrund der niedrigen Bierpreise in diesem kleinen Landesteil angesteuert haben. Demzufolge kann ich mir sehr oft lustige Dinge anhören wie:
"Wie, Dude, du hörst kein Trance?"
und:
"Wie, Mate, du wohnst in Belgien und warst noch nie auf dem Tomorrowland?"
und:
"Wie, Bro, du gehst heute nicht raus? Party, Alter!"
und:
"Wow, ich bin beeindruckt! Du bist der erste, den ich in Indien treffe, der sich für die indische Kultur interessiert!"
und außerhalb des Hostels auch sehr oft:
"Tui gawarisch pa-ruskij?"

Okay, okay, okay, ist ja schon gut. Als hätte ich es so noch nicht verstanden, dass ich ungefähr genau so gut hierhin passe, wie ein Clown auf eine Beerdigung, trägt die indische Scam Brigade noch das Ihre bei. Das war so: Einmal in der Woche gibt es in Anjuna einen Flohmarkt, auf dem der handelsübliche Hippie-Trash verkauft wird. Ich schaue mir das Ganze an, nicht sonderlich beeindruckt, als ein Inder mich anspricht und meint, ich hätte einen Skorpion im Ohr. Ich denke, ich hab nicht richtig gehört, halte an, er packt sich mein Ohr, ich versuche von ihm loszukommen, aber er hat mein Ohr dafür viel zu fest im Griff. Ich schubse ihn letzten Endes von mir weg, es entsteht ein kleiner Aufruhr um mich herum, und ich schaue, dass ich mal schnell von hier weg komme. Was da passiert ist, ist ein etwas schiefgelaufener Trick, bei dem ein "Ohrensäuberer" einem Passanten irgendwelchen Müll aus dem Ohr rausfischt, bzw. dies zumindest vorgibt, um im Nachhinein ein gehöriges Entgelt zu verlangen. Nachdem ich Anjuna ohnehin nicht mochte, ist der Ort hiermit offiziell für mich gestorben.

Tempel bei Palolem
Also nichts wie weg hier. Ich verlasse Anjuna, mit zwei Australiern im Schlepptau, und begebe mich nach Panjim, der Hauptstadt Goas, wo wir uns in der schlimmsten Absteige einquartieren, in der ich auf einem halben Jahr Weltreise untergekommen bin. Zu Panjim kann ich nicht großartig viel berichten, außer dass der portugiesische Look Goas hier noch sehr viel präsenter ist und dass vor allem die historische Altstadt etwas von einer - etwas heruntergekommenen - mittelgroßen südeuropäischen Stadt hat. Tagsdrauf begeben wir uns nach Palolem, einem Dorf im Süden Goas. Es wird zwar immer offensichtlicher, dass Strand, Meer und Palmen bei mir eine äußerst kurze Halbwertzeit haben, aber zumindest kann ich hier ein paar Dinge unternehmen, die besser auf mich zugeschnitten sind. Ich unternehme ein paar Fahrradtouren ins sehr schöne Umland, entdecke einen ziemlich abgelegenen und weitestgehend leeren Strand und erkunde ein Dschungel-Reservoir, in dem ich leider von der Tierwelt nicht all zu viel zu sehen bekomme.

Nächster Stopp: Hampi. Von all den Sehenswürdigkeiten, die Indien aufzubieten hat, ist dies wahrscheinlich der größte "Backpacker-Magnet". Es ist ein unglaublich schöner Ort, der sich aus einigen einfachen Komoponenten zusammensetzt: Palmen + Reisfelder + seltsame Gesteinsformationen + Tempel, fertig. Mir gefällt Hampi so gut, dass ich wieder eine Woche hier hängenbleibe, ich belege hier zum ersten Mal einen Yoga-Kurs (wenn man schon mal in Indien ist...), unternehme ein paar Ausflüge in die Umgebung, werde zigmal von irgendwelchen Herren darauf angesprochen, dass ich da irgend etwas in meinem Ohr habe (einen Skorpion vielleicht?), und schlafe nachts zu einem Spottpreis unter freiem Himmel auf dem Dach eines Gasthauses. Was insgesamt gut klappt - bis ich an einem Tag frühmorgens von einer putzmunteren, übers Dach laufenden Horde Affen geweckt werde.

So weit die News aus dem ziemlich heißen Süden Indiens, verbunden mit warmen Grüßen an die kalte Heimat :-) Es wird im Folgenden immer weiter Richtung Süden gehen, bis dass es nicht mehr weiter geht, dann werde ich mir was Neues ausdenken müssen. Gibt's sonst noch was zu sagen? Hmm, nö, eigentlich bin ich fertig. Den Skorpion in meinem Ohr habe ich mittlerweile adoptiert.

Mumbai


Mumbai

Gateway to India und Hotel Taj Mahal in Mumbai

Kathedrale in Panjim

Landschaft nahe Palolem

Dschungel nahe Palolem

Typischer Anblick in Hampi

Und noch mal, weil's so schoen war!

Affentempel bei Hampi

Keine Ahnung, sieht cool aus


Virupaksha-Tempel, Hampi

Hampi

Achyutaraya-Tempel, immer noch Hampi

Hampi...