Donnerstag, 1. Oktober 2015

Durch die Wüste




"Was, hier steigst du aus?" Mein spanischer Sitznachbar, mit dem ich mich während der Busfahrt von Isfahan nach Yazd eine Stunde lang unterhalten habe, staunt nicht schlecht. "Hier gibt es doch gar nichts."

Gar nichts - nach meinem Sightseeing-Overkill in Isfahan ist das genau das Richtige für
Toudeshk
mich. Auch wenn Toudeshk, ein Wüstendorf von etwa 100 Einwohnern und eine Randnotiz in meinem Reiseführer, auf den ersten Blick nicht besonders einladend aussieht - ich habe wieder das Gefühl, genau dort zu sein, wo ich gerade sein will; ein Gefühl, dass mich in Isfahan trotz aller Schönheit irgendwie verlassen hatte. Ich komme unter in einem kleinen Gasthaus, das von einer iranischen Familie betrieben wird. Nach einem Mittagessen, das mich zum ersten Mal komplett im Unklaren darüber lässt, was ich da überhaupt zu mir nehme, leihe ich mir bei dem Besitzer des Gasthauses ein Mountain-Bike aus und fahre 3 Stunden planlos durch die umliegende Einöde. Das tut gut - ich merke, dass es mir wirklich gefehlt hat, mich körperlich auszupowen, und mehrere Stunden mit dem Fahrrad durch die Wüste zu cruisen ist ein richtig gutes Kontrastprogramm zu den ganzen kulturellen
Drivin' through the desert
Besichtigungen der Vortage.

Ich kehre zum Gasthaus zurück und treffe dort noch vier andere Reisende: ein französisches Pärchen, das seit zwei Jahren durch Asien trampt und zwei Holländer, die im Iran ihren regulären Urlaub verbringen. Ich muss sagen: für ein Land, das nicht wenige als absolutes No-Go abschreiben, trifft man hier doch noch sehr viele Westeuropäer. Das gilt umso mehr für den nächsten Stopp auf meiner Reiseroute, den ich am folgenden Tag ansteuere: die Wüstenstadt Yazd.

Yazd hat sich in den letzten 10 Jahren als eine der wichtigsten Tourismus-Ziele im Iran hochgemausert, nachdem die ähnlich aussehende Stadt Bam im Südosten des Landes
Yazd
2003 durch ein Erdbeben zerstört worden war. Das Besondere an Yazd ist die Art und Weise, auf die sich die Stadt architektonisch an die natürlichen Begebenheiten (d.h. Wüste, sauheiß) anpasst. Auffällig ist die hohe Anzahl an sogenannten Windtürmen, die es in dieser Form schon seit Jahrhunderten gibt und die dafür zuständig sind, Windböen einzufangen und somit das Innere des Hauses zu kühlen. Yazd ist ferner neben Teheran die einzige Stadt im Iran, in der es noch eine bedeutende Minderheit von Anhängern des Zoroastrismus gibt - der Religion des Propheten Zarathustra, die vor dem Einzug des Islam in Persien die offizielle Religion war.

Nachdem ich mir einen Tag lang in lustiger Gesellschaft die wichtigsten
Einer der beiden Türme des Schweigens
Sehenswürdigkeiten der Stadt angeschaut habe (u.a. den zoroastrischen Feuertempel, der bis auf das Eintrittsgeld bei Weitem nicht so spektakulär ist, wie der Name suggeriert; und die "Türme des Schweigens", in denen die Zoroastrier bis in die 1960er hinein ihre Toten zur Ruhe legten und von den Vögeln aufessen ließen), nimmt mein Aufenthalt in Yazd eine etwas weniger prickelnde Wendung. Ich werde krank und liege mehrere Tage lang flach; nachdem ich das hinter mir habe, komme ich aber irgendwie nicht mehr in die Reisestimmung rein. 

Mich nervt der repetitive Hostel-Talk ("Wo kommst du her? Wie lange bist du schon im Iran? Bist du schon in Stadt XY gewesen?"), ebenso wie der nicht minder repetitive Taxifahrer-Talk ("Taxi, Mister? Taxi, Mister? Taxi, Mister?"). Die Freundlichkeit der Iraner hat sich, nachdem ich zum achthundertsten Mal auf die Frage "Where are you from?" habe antworten dürfen, irgendwie abgenutzt; und auch der Anblick der Moscheen Nummer 117 bis 121 lässt mein Herz nicht mehr höher schlagen. Es ärgert mich, dass ich nicht von der klassischen Iran-Touristen-Route (Teheran-Isfahan-Yazd-Shiraz) wegkomme; gleichzeitig fehlt mir aber die Motivation, um die abgetrarmpelten Pfade zu verlassen. Kurz: Ich habe zum ersten Mal einen Reisekoller. Sowas passiert beinahe jedem Langzeitreisenden früher oder später, und es war mir von Anfang an klar, dass auch ich nicht davon verschont bleiben würde. 

Es dauert einige Tage, bis ich mir darüber im Klaren bin, was gerade schiefläuft. Von Yazd
Trotzdem schön - Rayen
aus reise ich zuerst in den Südosten des Landes, in die Städte Kerman und Rayen. Vor allem Rayen stellt sich als sehr hübsch heraus, kann bei mir aber keine Begeisterung auslösen. Noch demotivierter als einige Tage zuvor kehre ich nach Yazd zurück, wo ich einen Tag damit verbrige, zu überlegen, wie ich endlich wieder etwas Funk in die Bude kriege. Ich beschließe, eine Woche früher vom Iran nach Nepal zu reisen als geplant. Im Iran bleibt mir somit noch ausreichend Zeit, um die paar Dinge zu unternehmen, die ganz oben auf meiner Liste stehen; in Nepal kann ich dann vor der Ankunft meines Reisegefährten für den Annapurna-Rundweg schon ein paar kleinere Wanderungen unternehmen (und andere Dinge sehen als Basare, Moscheen, Teehäuser und Paläste). 

Mit diesem frisch gefassten Plan verbessert sich meine Stimmung erheblich. Ich bin
endlich wieder back on track und verlasse Yazd diesmal in Richtung Norden. Mein Ziel ist das Oasendorf Garmeh. Am Terminal, an dem ich auf den Bus warte, der mich ins Herz der Kavir-Wüste bringen soll, lerne ich einen anderen Nicht-Iraner kennen, der denselben Plan hat wie ich. Wir kommen ins Gespräch, und es stellt sich heraus, dass er gebürtiger Kelmiser ist und seinerzeit dieselbe Schule besucht hat wie ich. Klein ist die Welt. Der Bus bringt uns von Yazd durch die Wüste in die Kleinstadt Khur, und durchquert hierbei über mehrere Stunden eine komplett unbewohnte und landschaftlich sehr reizvolle Gegend, die hier im Mittleren Osten eine Art Wild-West-Feeling aufkommen lässt. In Khur bekommen wir es dann mit einem ziemlich rabiaten Taxifahrer zu tun, dessen exorbitanten Fahrtpreis wir mit etwas Mühe auf Standardverhältnisse runterhandeln können, und der uns innerhalb einer
Umgebung von Garmeh
Viertelstunde von Khur ins 30 Kilometer entfernte Garmeh transportiert.

Garmeh, das 260 Einwohner nebst 20 Ziegen und 3 Kamelen zählt, ist ein Oasendorf wie aus dem Bilderbuch. Der eigentlich einzige Grund, aus dem das Dorf im Zeitalter der Urbanisierung nicht das Schicksal vieler anderer, mittlerweile leerstehender Dörfer teilt, ist das dortige Gasthaus, das sehr gut zu laufen scheint und vor allem Iraner anzieht, die für einige Tage dem Krach und Chaos der Städte entkommen wollen. Neben uns beiden Ostbelgiern ist eine etwas größere Gruppe aus Teheran zu Gast, die - wie könnte es im Iran anders sein - uns recht offen und freundlich empfängt. Wie sehr ich mich an die iranischen Verhältnisse schon gewöhnt habe, merke ich daran, dass es mich beinahe in Verlegenheit bringt, dass alle Frauen hier im Inneren des
Gasthauses ihr Kopftuch ablegen. Ich meine, wo sind wir denn hier? Eine Iranerin, mit der ich mich darüber unterhalte, bringt die Sache aber mit ein paar Sätzen zum Punkt: Das Kopftuch hat nichts mit dem Glauben zu tun, sondern wird von der Regierung vordiktiert. Der Glaube an Gott ist wichtig, der Glaube an die Regierung... eher nicht. Und was sich hier im Inneren des Gasthauses abspielt, kann der Regierung egal sein.

Ich verbringe anderthalb Tage bzw. zwei Nächte in Garmeh, mache eine kleinere Wanderung durch die Umgebung des Dorfes und gehe mit Sascha, dem Kelmiser, den Sonnenuntergang über den nicht unweit vom Dorf gelegenen Sanddünen beobachten. Anschließend kehre ich für ein letztes Mal nach Yazd zurück, wo ich mein Visum um einige Tage verlängere. Im Vergleich zur Erlangung des eigentlichen Visums ist die Verlängerungsprozedur ein Witz. Das anstrengendste ist die Tatsache, dass es in der Ausstellungsbehörde keine separate Abteilung für Touristen-Visa gibt, weshalb ich mit den ganzen afghanischen, pakistanischen und irakischen Immigranten um die Aufmerksamkeit der Beamten buhlen und mich um den einzigen Kugelschreiber im Warteraum streiten darf. Mit ein wenig Ellenbogenarbeit hat sich das aber relativ schnell erledigt.

Ich verlasse Yazd ein letztes Mal und begebe mich nach Shiraz, der letzten Station auf
Persepolis
meinem ersten Überland-Strecke, die ich vor beinahe 3 Monaten in Istanbul gestartet habe. Im Bus lerne ich Li kennen, eine Chinesin, mit der ich am folgenden Tag Persepolis besichtigen gehe - die Überreste einer der Hauptstädte des antiken Persiens, aufgebaut unter König Darius, zerstört von Alexander dem Großen, und Symbol für Glanz und Glorie des altpersischen Reiches wie kein anderer Ort im Iran. Ich muss zugeben, dass mich antike Ruinen selten vom Hocker hauen, aber Persepolis finde ich tatsächlich zutiefst beeindruckend.

Auch Shiraz gefällt mir recht gut, obwohl die Stadt die anstrengendsten Taxifahrer des
Hafis-Grab in Shiraz
Landes aufzuweisen hat ("Taxi, Mister? Taxi, Mister? Taxi, Mister?"). Die Stadt gilt als kulturelles Zentrum des Landes und "Stadt der Dichter", da sich hier die Gräber der persischen Poeten Hafis und Saadi befinden. Beeindruckend in diesem Zusammenhang finde ich, dass diese Dichter für viele Iraner noch tatsächlich etwas bedeuten - das Hafis-Grab ist so etwas wie eine kulturelle Anlaufstelle, an dem abends Gedichte deklamiert werden; und besonders in Shiraz werden im Gespräch die alten persischen Poeten gerne zitiert.

Der Countdown bis zum Abflug aus dem Iran läuft, und auch wenn besonders zur Mitte hin nicht alles so gelaufen ist, wie ich es mir vorgestellt hatte, habe ich meine 34 Tage im Iran im Großen und Ganzen genossen. Schade finde ich zwar, dass ich nicht all zu viele Einblicke in das Leben der Iraner hinter der Fassade der Islamischen Republik habe gewinnen können und dass sich meine Reiseroute als nicht besonders originell herausgestellt hat; aber die Begegnungen, die ich gehabt, und die Erfahrungen, die ich gemacht habe, möchte ich um nichts in der Welt missen. Und auch wenn ich während der Beschaffung des Visums bezweifelt hatte, dass sich der Aufwand lohnt, und auch wenn ich die Dauer meines Aufenthalts abgekürzt habe - es hat sich gelohnt. Der Iran hat mir wie kein anderes Land bisher vor Augen geführt, dass die journalistische Berichterstattung nicht alles zusammenfasst, was ein Land ausmacht. Ich sage nicht, dass der Iran ein Paradies ist, in dem jeder glücklich ist und sich alle ganz doll lieb haben. Aber der Iran ist anders, als man erwartet - und alleine schon deshalb die Erfahrung wert. I'll be back (inschallah).
Toudeshk


Yazd

Yazd


Kunst

Wasser! Yeeeeeeeeaaah!


Es ist der Iran, es muss ein Foto von einem Teppichladen dabei sein

Antiamerikanismus hat auch seine Grenzen

Rayen

Festung in Rayen



Shiraz, die Stadt der Poeten

Shiraz


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen