Samstag, 25. Juli 2015

Durchs wilde Kurdistan

Er: "Where are you from, my friend?"
Ich: "Belgium."
Er: "What?"
Ich: "Belgium..."
Er: "Germany?"
Ich: "No, no, Belgium!"
Er: (Pause) "Germany?"
Ich: "Eeeeeeh... yes, I am from Germany!"
Er: "Aaaaah, Germany! Very good country!"
Ich: "Yeaaaaaah....."

Solche Unterhaltungen führe ich zurzeit etwa zehnmal am Tag. Wenn es etwas gibt, was mir momentan leidtut, dann ist das die Tatsache, dass ich kein Türkisch spreche. Nicht nur wären dadurch einige Situationen sehr viel einfacher zu bewältigen (z.B. einfach eine blöde Bushaltestelle finden). Aber ich habe auch den Eindruck, dass mir einfach etwas entgeht, da ich mich mit den sehr netten, hilfsbereiten, herzlichen und großzügigen Menschen, denen ich hier in der Türkei begegne, nicht richtig unterhalten kann. Ziemlich häufig sind nämlich auch solche Konversationen:

Er: "^ş+z$h%ı&/*~üğé?"
Gaziantep
Ich: "Eeeeeeeeeehm..."
Er: "İ^#ş$+z[$h%~ı&4*/*~?"
Ich: "Ööööööööööööh..."
Er: "^ş+z$h%ı&/*~üğé?"
Ich: "Belgıum...?"
Er: "İ^#ş$+z[$h%~ı&4*/*~?"
Ich: "Ääääääääääääääää..."
usw. 

Wobei: Möglicherweise würde mir selbst Türkisch hier keine Türen öffnen. Ich befinde mich zurzeit in Südostanatolien, in dem ein Großteil der kurdischen Bevölkerung des Landes wohnt. Daheim hat diese Region einen eher zweifelhaften Ruf und gilt als politisch instabil und - aus aktuellem Anlass - als potenziell gefährlich.

Ich persönlich, und ich kann jetzt hier nur über meine subjektive Erfahrung sprechen, fühle mich hier aber absolut sicher. Ich habe nach dem Attentat in Suruc, für dessen Opfer ich tiefes Mitgefühl habe, keine politischen Demonstrationen gesehen; ich bin nur einmal auf einer Busfahrt in eine Militärkontrolle geraten (einfach Pass zeigen und fertig) und ich hatte nie das Gefühl, dass mein westliches Aussehen und Auftreten mich in irgendeiner Form in Gefahr hätte bringen können. Wenn man die aktuelle Berichterstattung oberflächlich verfolgt, könnte man meinen, der Südosten der Türkei sei ein riesiges Minenfeld, das nur darauf wartet, vom IS einkassiert zu werden. Ich kenne mich nicht genügend aus, um das groß kommentieren zu können; aber so wie ich die Dinge um mich herum momentan wahrnehme, herrscht für die meisten Menschen hier der ganz normale Alltag.

Den ersten Eindruck von Südostanatolien habe ich, wie gesagt, in Gaziantep, der größten Stadt der Region, gewinnen können. Ich verbringe hier eigentlich nur einen Vormittag, an dem ich mir die Gegend um Basar und Altstadt anschaue.


Sanliurfa
Nachmittags nehme ich dann den Bus nach Sanliurfa. Irgendwo zwischen Gaziantep und Sanliurfa muss ich wohl eine unsichtbare Grenze überquert haben, denn ab jetzt wirkt alles noch sehr viel orientalischer. Hier fühle ich mich in kurzer Hose wirklich nicht mehr wohl, und etwas zu essen zu finden, ist vor Sonnenuntergang auch nicht so einfach. Mein Hostel versteckt sich irgendwo zwischen den Gassen der Altstadt, und kurz vor dem Eingang empfängt mich eine spielende Gruppe Kinder mit einstudiertem Text: "Hello! Hello! Money? Money? Money?" Was für Nervensägen.

Mein Ankunftstag in Sanliurfa ist der letzte Tag des Ramadan, der Vortag des dreitägigen Bayram-Festes. Im Laufe des Tages mache ich aber die Erfahrung, dass es nicht die beste Idee war, ausgerechnet an diesem Tag nach Sanliurfa zu reisen. Ich gehe abends mit drei Volunteers aus Gaziantep durch die Stadt. Als wir nach Sonnenuntergang irgendwann etwas zu essen finden wollen, ist die Stadt dermaßen überfüllt, dass wir nur im Schneckentemo vorwärtskommen. Klar, die Leute dürfen wieder essen und trinken, wann sie wollen; das muss gefeiert werden. Für Außenstehende wie uns ist das alles aber eher anstrengend. Wir finden letztendlich etwas zu essen - in einer halboffiziellen Imbissbude in einer dunklen Seitengasse, wo ein paar syrische Flüchtlinge extra für uns noch mal den Grill anmachen. Klingt gruselig, war aber lecker.


Harran
Die nächsten Tage verbringe ich mit einigen Ausflügen in die Umgebung von Sanliurfa - ich sehe Göbeklitepe, die Ausgrabungsstätte eines der ältesten Tempel der Welt, sowie Harran, eines der ältesten konstant bewohnten Dörfer der Welt, das als Geburtsort von Abraham eine bedeutende Rolle im Alten Testament spielt.

Weiter gehts nach Mardin, der bisher schönsten Stadt, die ich auf meiner Reise gesehen habe. Auf der Suche nach meiner Herberge verlaufe ich mich direkt wieder mal, werde aber von ein paar Leuten in meinem Alter in ihr Haus (aus dem in voller Lautstärke Jimi Hendrix dröhnt) auf einen Tee eingeladen. Es stellt sich heraus, dass es sich bei diesen Leuten um eine Band handelt, die gerade dabei sind, eine Probepause einzulegen. Nach mehreren Tees (oh ja, dıe Türken lieben ihren Tee) zeigen sie mir den Weg zum Hostel.


Mardin war im Laufe der Jahrhunderte Zankapfel aller möglichen Völker - Assyrer, Araber, Perser, Mongolen, Osmanen und Kurden. Die Altstadt befindet sich auf einem Berg, unter dem sich die mesopotamische Tiefebene ausbreitet. Sie besteht aus einem Labyrinth aus Gassen, in dem sich ein Basar versteckt und aus dem vereinzelt die eine oder andere Moschee herausschaut. Orient pur.


Neben der Unmenge an uralter Geschichte, die die Region aufweist, macht den Reiz an Südostanatolien auch die Tatsache aus, dass sich kaum ein anderer Westeuropäer in diese Gegend verirrt. Das hat zwar zur Folge, dass es nicht immer so einfach ist, von Ort zu Ort zu kommen oder eine Unterkunft zu finden, und dass die Sprachbarriere schon enorm ist; allerdings hat man so auch den Eindruck, den Ort wirklich für sich entdecken zu können, ohne sich auf abgetrampelten Touristenpfaden zu bewegen.

So weit mein Bericht. Es folgen noch einige Bilder aus der Südosttürkei, die für einmal nichts mit Anschlägen, Krieg oder Demonstrationen zu tun haben. Ich hoffe, dass sie euch gefallen.

Viele Grüße

Pascal


Gaziantep




Sanliurfa


Sanliurfa











Harran


Mardin - von unten...


...und von oben


Im Basar von Mardin

Eine von Mardins vielen Moscheen

Midyat, eine Stadt in der Nähe von Mardin



Noch mal Midyat


Zafaran, eın syrisch-orthodoxes Kloster



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