Freitag, 17. Juli 2015

Kappadokien und die Fahrt in den Osten

Dass ich mich noch nicht totfotografiert habe, grenzt beinahe an ein Wunder.


Nachdem ich die 5 ersten Tage in Istanbul verbracht hatte, nahm ich abends einen Nachtbus ins Landesinnere. Die Fahrt verlief recht ruhig, aber ich konnte trotzdem kein Auge zu machen. In Bussen schlafen ist sowieso so eine Sache, und dass ich einen schnarchenden Alleinunterhalter neben mir sitzen hatte, war nicht gerade hilfreich.

Zwischendurch durfte ich noch zweimal den Bus wechseln, bis ich stark übernächtigt in Göreme, Kappadokien, ankam. Göreme ist ein Dorf, das im Zentrum einer Gegend liegt, die landschaftlich so ziemlich zum Beeindruckendsten gehört, was ich auf meine jungen Jahre bisher habe sehen dürfen.


Typische Wohnungen in Göreme
Wer schon mal in den USA war, kennt vielleicht den Bryce Canyon National Parc in Utah. Die Gegend um Göreme sieht ähnlich aus, mit seinen riesigen, seltsam geformten, Felsformierungen, die die verschiedenen Täler in der Region charakterisieren. Beeindruckend ist aber vor allem, was der Mensch daraus gemacht hat: Die Gegend war schon seit Jahrtausenden bewohnt (es gibt uralte Tunnelsysteme im Untergrund, die davon zeugen), als im 4. Jahrhundert eine christliche Volksgruppe in die Felsen ihre Wohnungen und ihre Kirchen hineinbaute. Auch heute sind viele Wohnungen in Göreme noch halb Haus, halb Felsen. Ich kenne keinen anderen Ort auf der Welt, an dem Natur und Zivilisation so nahtlos und harmonisch ineinander übergehen.

Dass eine kulturell und landschaftlich dermaßen beschenkte Gegend einiges an Vermarktungspotenzial hat, ist selbstredend. Neben ein wenig rudimentärer Landwirtschaft ist der Tourismus hier sehr deutlich der wichtigste Wirtschaftszweig, was sich an jeder Ecke bemerkbar macht. Überall stehen Souvenirshops und im Unterschied zu Istanbul spricht man hier auch Englisch. Trotzdem erscheint mir Göreme nicht wirklich "spoilt by tourism" - die Atmosphäre ist wirklich angenehm, man wird nirgendwo bedrängt und selbst die Touristen rennen sich nicht gegenseitig die Füße ein. Scheinbar ist die aktuelle Hauptsaison aber auch eher schlecht, es trauen sich weniger Leute als gewöhnlich in die Türkei. Schade für die netten Restaurantbesitzer in Göreme - die können sich dafür wahrscheinlich bei der ISIS bedanken.



Pigeon Valley
Nachdem ich den ersten Tag in Göreme vor allem mit ausschlafen und entspannen verbracht hatte, unternahm ich während der nächsten zwei Tage mehrere Wanderungen durch einige dieser Täler - teils alleine, teils in Begleitung. Wie viele Fotos ich hier gemacht habe, ist wirklich nicht normal, aber es ist halt so, dass man nach jeder Wegbiegung etwas Neues zu sehen bekommt, wo man einfach nur denkt: "Wooooow!" und "Schöööööön" und zack hat man schon wieder geknipst.




Eine typische Touristenaktivität, die sich in Göreme großer Beliebtheit erfreut ist es, in den frühen Morgenstunden eine Heißlufballonfahrt über die Gegend zu machen. Ich selbst habe das jetzt nicht gemacht, da der Spaß einen Preis im dreistelligen Bereich hat und hey, ich bin Weltreisender, ich muss mein Budget im Auge behalten. Es ist allerdings auch schön, um halb 5 Uhr morgens den Sonnenaufgang über dem Red Valley zu genießen und dem Aufstieg der Ballons zuzuschauen.

3 Tage hatte ich in Göreme verbracht, und ich wäre am liebsten noch einen Tag länger geblieben. Allerdings wollte ich auch weiter in Richtung Südostanatolien fahren, und da das Ende des Ramadan bevorsteht, und deshalb viele Familien durchs Land reisen, wurde es ein wenig kompliziert, an Bustickets zu kommen. Mit etwas Glück konnte ich ein Ticket ergattern, das mich nach drei sehr schönen Tagen in Kappadokien nach Gaziantep bringen sollte.


Auf dem Weg nach Südostanatolien
Die Fahrt dauert etwa 8 Stunden und geht zunächst durch die etwas trostlose Steppenlandschaft Zentralanatoliens. Allmählich wird es immer gebirgiger, bis ich gegen Mittag den Eindruck habe, in den Alpen gelandet zu sein. Im weiteren Verlauf wird die Vegetation immer karger. Gegen 18 Uhr steige ich in Gaziantep aus dem Bus. Da es in dieser Stadt keine Hostels gibt, hatte ich im Vorfeld ein Zimmer in einem billigen Hotel im Stadtzentrum gebucht (es ist auch angenehm, mal alleine zu schlafen). Die Adresse hatte ich in mein Notizbuch eingetragen, und über GoogleMaps hatte ich herausfinden können, dass der Busbahnhof etwa 6 km nördlich vom Stadtzentrum liegt.

Ich habe keinen wirklichen Plan, wie ich zum Hotel kommen kann. Aufs Geratewohl kaufe ich ein Busticket und steige in einen Bus, der in die richtige Richtung zu fahren scheint. Als dieser nach etwa 2 Kilometern nach rechts auf eine Schnellstraße abbiegt, drücke ich den Stoppknopf. Ich brauche gute 5 Minuten, um in die Stadt zurückzukommen. Auf den ersten Blick wirkt Gaziantep wie der letzte Ort, wo man in Brüssel lebend gesehen wurde. Ich gehe weiter Richtung Süden, bis ich bei einem Friseursalon den Besitzer nach der Adresse frage. Dieser ist mit der Frage etwas überfordert, holt aber die einige Nahbarn zu Hilfe, von denen einer etwas Deutsch spricht. Er beschreibt mir den Weg und es wird mir allmählich klar, dass ich noch lange nicht in der Nähe meines Hotels bin.
Gaziantep

Ein junger Motorradfahrer, der die ganze Szene beobachtet hat, ruft mir zu: "Adress? Adress?" Ich gehe zu ihm und zeige ihm mein Notizbuch mit der Adresse. Er lacht und deutet auf sein Motorrad. Wenn sich jemand mit 14 Kilo auf dem Rücken und ohne Helm zu einem Wildfremden in einer unbekannten Stadt aufs Motorrad setzt und dann in Schwierigkeiten gerät, kann er bei mir kaum mit Mitleid rechnen. Ich mache eine dankend ablehnende Handbewegung und meine:
"No, no, very nice, thank you!"
"Yok, no problem!"
"No, no, I will walk."
"Yok, yok! Allah, Allah!"
Das ist natürlich ein Argument.

Ich setze also, entgegen besseren Wissens, alles auf eine Karte und steige auf das
Motorrad. Los geht es. Mein Chauffeur fährt auf eine Schnellstraße. Wie schnell er fährt, sehe ich nicht - der Tacho ist kaputt. Dafür fliegt mir aber die Kappe vom Kopf. Im Stadtzentrum angekommen, schlängelt er sich zunächst durch den dichten Verkehr. Da ihm das aber zu langsam ist, nimmt er eine Abkürzung über die Bürgersteige. Als er mich nach 10 Minuten, Allah sei Dank, von der Kiste lässt und grinsend auf mein Hotel deutet, mache ich den tiefsten Erleichterungsseufzer meines Lebens.

Ich glaube, ich bin im Osten angekommen.





Das erste Kamel auf meiner Reise




"Love Valley" mit seinen typisch ehm spargelförmigen Felsformierungen


Sonnenaufgang über Kappadokien

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