Tagelang durch die entlegentsten Gegenden des Himalaya kraxeln, in Zelten übernachten, sich mit den Einheimischen nur per Zeichensprache verständigen können und sich abends nur von Yakkutteln ernähren - all dies ist der Annapurna-Circuit nicht. Man stellt sich eine Tour durch den Himalaya ja gerne als das ultimative Outdoor-Abenteuer vor; Fakt ist aber, dass es sich hierbei um ein sehr kommerzielles und auf westliche Touristen zugeschnittenes Abenteuer handelt. Nicht umsonst wird dieser Fernwanderweg von erfahrenen Himalaya-Kennern als "Teahouse-Trek" belächelt. Übernachtungsmöglichkeiten sind quasi in jedem Dorf vorhanden, Verständigung läuft problemlos, das Wegenetz ist absolut idiotensicher, und auf den Menüs der Gasthäuser findet man solch unglaublich typische nepalesische Gerichte wie Pizza, Burger oder Spaghetti. Hinzu kommt, dass in der Annapurna-Conservation-Area seit einigen Jahren eine Straße ausgebaut wird, durch die die ganze Region ein gutes Stück weniger entlegen geworden ist.
Luxuriös ist der Annapurna-Circuit trotzdem nicht. Die Gasthäuser sind selten gut isoliert, was bedeutet, dass man sich nachts gut einpacken muss. Toiletten sind meistens ein bloßes Loch im Boden und obwohl sich viele Gasthäuser mit "24 Hours Hot Shower" anpreisen, werden notorische Warmduscher hier selten glücklich. Und auch wenn der Rundweg für durchschnittlich fitte Personen problemlos zu bewältigen ist, gilt es doch immer, die Höhe zu berücksichtigen - das ist tatsächlich die größte Gefahr auf dem Circuit.
Bevor das alles hier zu negativ klingt, möchte ich noch anmerkern: War trotzdem schön. So, und jetzt geht's weiter mit der Zusammenfassung des Treks. Wir haben es bis nach Manag auf 3540 Metern über dem Meeresspiegel geschafft und somit den ersten großen Abschnitt des Rundwegs abgeschlossen.
Tag 7: Wie üblich wache ich kurz vor 6 Uhr auf, als ich plötzlich der Tatsache gewahr werde, dass ich heute ausschlafen kann. Kein Aufstehen und Sachen Packen bei eisiger Kälte - wie erfreulich! Wir verbringen den Tag in und um Manang, wandern morgens auf einen Aussichtspunkt auf 3800 m rauf, und das ohne Rucksack - es fühlt sich an wie fliegen! Nachmittags wohnen wir dann einer Präsentation zum Thema Höhenkrankheit und ich gehe dann später noch in einem etwas zusammenimprovisierten, rustikalen Kino einen nepalesischen Film anschauen.
Aussicht auf Manang |
Kinoprogramm in Manang |
Tag 8: Nachdem wir während der letzten zwei Tage x Mal unsere Pläne geändert haben, wie es mit dem Trek weiter gehen soll, beschließen wir, keinen Sidetrip einzulegen, sondern stattdessen direkt weiter Richtung Thorung-La-Pass zu gehen. Die nächste Etappe bringt uns nach Ledar (4200 m) und führt uns erneut durch unglaublich schöne Landschaften. Nicht nur überwinden wir heute letztendlich die Baumgrenze - auch überschreiten wir heute den Punkt, ab dem keine motorisierten Transportmittel mehr zugelassen sind, was sich an der Luftqualität stark bemerkbar macht.
Nach guten 3 Stunden wandern erreichen wir Ledar, ein Dorf von vielleicht 5 Häusern, um
hier wirklich klar, wie weit wir von allem entfernt sind. Alles ist unglaublich ruhig, die Luft ist wie gesagt Lichtajahre entfernt von der in Kathmandu, WiFi und Handynetz gibt es hier auch keins. Wir fühlen uns wirklich wie in einer anderen Welt. Da passt es auch ganz gut, dass wir hier zwei Außerirdischen begegnen, die sich als Deutsche getarnt scheinbar ein paar Wochen Urlaub auf der Erde gönnen. Bereis tagsüber fallen uns die beiden auf (wir taufen sie Mannfred und Günnther, mit zwei N jeweils, um keinem Manfred oder Günther dieses Planeten auf den Fuß zu treten) mit der unglaublich intelligenten Diskussion darüber, dass es doch unmöglich sei, dass die Sonne auf dem Berg länger sichtbar sei als im Tal; schließlich gehe die Sonne am Ende des Tages unter, bewege sich also Richtung Tal - logisch? (nein.) Am Abend - wir sind beide schon eingeschlafen - unterhalten uns Mannfred und Günnther mit einer etwa einstündigen Slapstick-Einlage vor der Tür unseres Zimmers, während der sie vergeblich versuchen, sich die Schuhe auszuziehen und die Tür zu ihrem Zimmer zu schließen. Dass die beiden zudem unser Zimmer etwa zwanzig Mal mit der Toilette verwechseln, gibt der Situation einen etwas verstörenden Touch. Was die Höhenluft mit intelligenten Individuen alles anstellen kann... schrecklich, schrecklich...
Ledar |
Tag 9: Wir brechen recht früh auf, nicht zuletzt, um Mannfred und Günnther aus dem Weg zu gehen. Die heutige Tagesetappe wird zwar eher kurz, beinhaltet dafür aber zwei anstrengende Aufstiege, von denen der zweite uns vom Thorung-La-Base-Camp (4450 m) zum Thorung-La-High-Camp (4925 m) hinaufführt. Viele Wanderer bevorzugen es, im tiefer gelegenen Base Camp zu nächtigen, da hier das Höhenkrankheits-Risiko niedriger ist. Wir für unseren Teil sind aber froh, den anstrengenden Aufstieg zum High Camp hinter uns zu haben - der nächste Tag wird noch heftig genug. Am Nachmittag leide ich tatsächlich ein wenig an der Höhenluft - ich habe leichte Kopfschmerzen und fühle mich ein wenig neben der Spur; allerdings wird es nicht so schlimm, dass ich zum Base Camp zurückkehren müsste. Wir verbrigen, wie ziemlich viele andere Wanderer, den Rest des Tages im Restaurant des High Camps, wo die Spannung vor der kommenden Tagesetappe förmlich spürbar ist.
Thorung-La-Base-Camp |
Aussicht aufs High Camp |
Tag 10: Der Nachthimmel, der mich um 4 Uhr morgens im High Camp begrüßt, ist der schönste, den ich je gesehen habe. Es befinden sich also keine Wolken am Himmel - das ist schon mal vielversprechend. Wir brechen um halb 6 zusammen mit der aufgehenden Sonne auf; viele Wanderer - darunter Mannfred und Günnther - sind allerdings schon in dunkelster Nacht mit Taschenlampen losgezogen. Heute steht die Etappe an, vor der so gut wie jeder auf dem Annapurna-Circuit zittert: der Aufstieg zum Thorung-La-Pass (5416 m) mit dem anschließenden Abstieg nach Muktinath (3760 m). Ich für meinen Teil habe mir diesen Tag schon vor Monaten ausgemalt und mir dabei Szenarien vorgestellt, die alles andere als positiv sind. Letzten Endes stellt sich der Aufstieg zum Pass aber als halb so wild heraus - kurz vor 8 Uhr sind wir oben angekommen und vielleicht auf dem höchsten Punkt, den wir in unseren Leben betreten werden. Nachdem wir auf dem Pass das Standard-Programm abgehakt haben (hinsetzen, Fotos machen, Tee trinken), steht noch der vierstündiger Abstieg nach Muktinath an.
Dort angekommen quartieren wir uns im sogenannten Bob-Marley-Hotel ein, das nicht nur mit einer warmen Dusche, sondern auch mit einer westlichen Toilette aufwarten kann. Welch eine Erleichterung. Wir nehmen in Kauf, dass es hier eventuell etwas teurer werden kann als bisher - wir denken, wir haben es verdient, uns selbst mal was zu gönnen. Am Abend ist dann Party angesagt.
Aussicht auf den Pass |
Der Abstieg beginnt. |
Tag 11: Von Muktinath aus geht es nach Kagbeni (2810 m) - eine kurze, angenehme Wanderung von etwa 3 Stunden durch sehr herbstliche Landschaft. Hier auf der anderen Seite des Passes ist die Vegetation irgendwie ganz anders - mich erinnert sie teilweise sehr stark an den Iran.
Kagbeni |
Tag 12: Der letzte Wandertag auf dem Annapurna-Circuit. Wir könnten eigentlich noch ein paar Tage dranhängen; da bei uns beiden aber die Luft raus ist, beschließen wir, die Wanderung in Jomson (2720 m) zu beenden und mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Pokhara zurückzukehren. Die letzten Kilometer, die wir per pedes hinter uns bringen müssen, gehen uns allerdings dann noch gehörlich auf den Senkel - dass wir über weite
Teile durch ein Flussbett wandern müssen, ist zwar ganz nett; aber alles in allem hat dieser Tag landschaftlich wenig Abwechslung zu bieten.
Auch Jomson stößt bei uns beiden auf wenig Gegenliebe. Keine Ahnung, was auf dieser Seite des Thorung-La-Passes los ist - vielleicht sehen die Leute hier mehr Touristen oder vielleicht kriegen sie weniger Sonne ab; jedenfalls fällt uns auf, dass die Nepalesen hier weitaus weniger freundlich sind als auf dem Rest des Treks. Der Mangel an Hilfsbereitschaft (der im Allgemeinen wirklich untypisch ist für die Nepalesen), den wir hier zu spüren bekommen, hat zur Folge, dass es für uns zu einem schweren Unterfangen wird, Infos zu bekommen, wann/wie/wo wir am nächsten Tag einen Bus erwischen können.
Jomson |
Schön wär's...
Ich erspare mir die großen Erklärungen. Das hier war unser Tag 13:
5:20 Uhr: Der Wecker klingelt. Aufstehen, Zähne putzen usw.
5:50 Uhr: Wir verlassen unser Gasthaus und begeben uns auf den Weg zum Abfahrplatz der Busse.
6:10 Uhr: Angekommen am Abfahrplatz. Der eine Pascal stellt sich in eine Reihe, um Bustickets zu kaufen; der andere besorgt in der nahe gelegenen Bäckerei Frühstück.
6:35 Uhr: Tickets sind besorgt. Wir warten auf den Bus.
6:50 Uhr: Der Bus, der uns ins 40 Kilometer entfernte Ghasa bringen wird, ist da. Wir sorgen erst dafür, dass unsere Rucksäcke ordnungsgemäß aufs Dach des Busses gehievt werden und nehmen dann im Bus Platz.
7:30 Uhr: Der Bus fährt ab.
10:30 Uhr: Wir kommen in Ghasa an. Aussteigen, Rucksäcke vom Dach in Empfang nehmen und Tickets für die Weiterfahrt kaufen. Letzteres läuft dann nicht so glatt: Es gibt auf dem Bushof zwar 2 Ticketschalter; allerdings werden an beiden Schaltern keine Tickets verkauft. Ein Ticketverkäufer informiert uns allerdings darüber, dass man im Bus ohne Probleme für die Fahrt bezahlen kann.
11:30 Uhr: Mittlerweile hat sich auf dem Bushof eine ganz ordentliche Menge an Menschen gebildet, die, genauso wie wir, alle den Bus nach Beni nehmen wollen. Ein Bus kommt an - alle stürzen auf ihn los. Während Pascal im Bus für uns 2 Sitze in Beschlag nimmt, stelle ich mich mit unseren 2 Rucksäcken hinter den Bus, damit diese wieder auf dem Dach verfrachtet werden. Irgendwie scheinen die dafür zuständigen Nepalesen mich aber nicht zu mögen - alles Mögliche wird angenommen und oben verstaut, nur unsere 2 Rucksäcke sind anscheinend nicht gut genug dafür.
11:45 Uhr: Mir platzt der Kragen, laut denke ich etwas, was man im amerikanischen Fernsehen wahrscheinlich ausblenden würde, und ich gehe mit den zwei Rucksäcken in den - mittlerweile ziemlich vollen - Innenraum des Busses.
11:50 Uhr: Irgendjemand kriegt spitz, dass wir keine Bustickets haben. Der "Schaffner" des Busses blafft uns an, wie wir es denn wagen könnten, und verlangt, dass wir an dem - wohlgemerkt leeren - Ticketschalter ein Ticket besorgen. Ich nochmal raus, überzeuge mich davon, dass es hier kein Ticket zu kaufen gibt; wieder rein in den Bus, selbe Diskussion: Kauft ein Ticket am Schalter! - Ja, wie denn, du Experte? Letzten Endes werden Pascal, ich und drei andere Reisende, die sich in derselben Situation befinden, unter allgemeinem Gelächter von Bord geworfen. Problem gelöst.
12:00 Uhr: Zusammen mit den drei anderen Pechvögeln warten wir auf den nächsten Bus nach Beni, der Gerüchten zufolge heute noch irgendwann in Ghasa ankommen soll.
13:30 Uhr: Nachdem sich anderthalb Stunden lang nichts getan hat, nehmen wir das Angebot eines Israelis an, mit ihm und einigen anderen Touristen die Kosten für eine Jeepfahrt nach Beni zu teilen.
14:00 Uhr: Nach einigem Hin und Her fährt unser Jeep los - endlich können wir diesem herzlichst unsympathischen Dorf entkommen. So long, suckers!
15:30 Uhr: Zack, bumm, Auto kaputt.
16:45 Uhr: Mit bewundernswerter Ruhe und Abgeklärtheit hat es unser Fahrer geschafft, den Schaden am Wagen zu beheben. Ich muss sagen: Respekt! Weiter geht die holprige Fahrt.
18:00 Uhr: Angekommen in Beni. Zusammen mit den anderen Passagieren besorgen wir uns direkt einen anderen Jeep, um es heute noch nach Pokhara zu schaffen.
20:30 Uhr: Angekommen in Pokhara. Komplett fertig vom Tag und gerädert von der Fahrt.
Und das war der Annapurna-Circuit. Schön war's. Und anstrengend. Aber schön. Mittlerweile ist der eine Pascal wieder nach Belgien zurückgekehrt, während der andere Pascal in Kathmandu auf sein Indien-Visum wartet. Zu erzählen gäbe es noch vieles, zu sagen bleibt allerdings nur Folgendes:
Hunderttausend heulende Höllenhunde! Wir sind Tage und Nächte marschiert! Wir haben haufenweise Felsen erklommen! Wir haben in der Sonne geschwitzt! Jetzt ist Schluss! Ich mach nicht mehr mit! Ich geh' nicht mehr weiter! Verflixt, meine armen Füße! Morgen geht es ihnen hoffentlich besser! ... Gute Nacht, Freunde!
Sie sprechen mir aus der Seele, Herr Kapitän!
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